Am Anfang war das Mahl, Teil 2

Veröffentlicht auf von Markus Tymister

Am Anfang war das Mahl, Teil 2

Teil 1: http://populocongregato.over-blog.com/2013/09/am-anfang-war-das-mahl.html

Der historische Ursprung der Eucharistie wird allgemein im Letzten Abendmahl gesucht, von dem gesagt wird, dass Jesus es mit seinen Jüngern am Abend vor seinem Tode gefeiert hat (vgl. Mt 27,17-30; Mk 14,12-26; Lk 22,7-38; 1 Kor 11,23-26).

Es sollte aber auch in Betracht gezogen werden, wie Paul Bradshaw (Early Christian Worship. A basic introduction to ideas and practice, SPCK, London ²2010) feststellt, dass viele der frühesten Zeugnisse außerhalb des Neuen Testamentes, die über die christliche eucharistische Praxis berichten, Jesu Worte über Brot und Kelch, die sein Leib und sein Blut sind, nicht in spezifischer Weise mit diesem letzten Abendmahl verbinden. Und auch das Johannesevangelium verbindet Jesu Wort vom Brot, dass sein Fleisch ist, nicht mit dem Letzten Abendmahl, sondern mit einer der wunderbaren Brotvermehrungen (Joh 6).

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten Jahre weisen daher zunehmend darauf hin, dass das Letzte Abendmahl, um es richtig zu verstehen, in den größeren Kontext gemeinsamer Mahlzeiten gestellt werden muss, die für Jesus und seine ersten Jünger bezeichnend waren.

Ein gemeinsames Mahl war immer schon eine der wichtigsten Möglichkeiten, mit Hilfe derer Menschen Freundschaft und gegenseitige Zugehörigkeit ausgedrückt haben. In der antiken Welt findet nahezu das gesamte gesellschaftliche Leben sein Zentrum und seinen Ausdruck im Mahl, im gemeinsamen Essen und Trinken: das Abendessen im Hause eines reichen Mannes, das Mahl anlässlich der regelmäßigen Zusammenkünfte einer Vereinigung (von Kaufläuten oder Handwerkern) oder auch die Mahlfeier im Rahmen eines der Mysterienkulte.

Es schließt sich an diese Erkenntnis in den letzten Jahren auch verstärkt die Diskussion an, ob denn das Letzte Abendmahl Jesu ein Pascha-Mahl war oder nicht. Während die synoptischen Evangelien ausdrücklich sagen, dass das Letzte Abendmahl als Paschamahl gefeiert wurde, hat es laut den Aussagen des Johannesevangeliums einen Tag vor dem Paschafest stattgefunden, während der Tod Jesu mit dem Paschafest zusammenfiel. Offensichtlich handelt es sich in beiden Fällen um symbolische Chronologien und die Frage war wohl für die ersten Christen nicht von wesentlicher Bedeutung. Das Mahl, das Christen gemäß dem Auftrag Jesu - Tut dies zu meinem Gedächtnis (Lk 22,19) - feierten, wurde anscheinend als etwas ganz eigenes gesehen. Der Schwerpunkt lag eher auf der Symbolik, die in diesen Chronologien ausgedrückt werden sollte. Für die Forschung über die Ursprünge der Eucharistie ist die Frage daher auch nicht von grundlegender Bedeutung: Falls es sich um ein Paschamahl gehandelt haben sollte, so ist doch festzustellen, dass keine spezifisch zum Ritus des Paschamahls gehörenden Gebräuche in der frühen Christenheit bei der Feier der Eucharistie zu finden sind. Und auch für den Fall, dass es sich nicht um ein Paschamahl gehandelt haben sollte, hat es doch zumindest im weiteren Kontext des Pascha stattgefunden und so ist es nicht überraschend, dass Vorstellungen und Ideen, die mit dem Paschafest zusammenhängen, in späterer christlicher eucharistischer Theologie (wieder) auftauchen. Das "Nachspielen" des jüdischen Paschamahles am Gründonnerstag, wie es zeitweise in katholischen Gemeinden üblich war, ist nicht nur aus diesem Grunde schlichtweg unsinnig. Auch kann man kein Paschamahl spielen; genauso wie wir es uns verbitten würden, wenn Angehörige einer anderen Religion am Osterfest die Messe nachspielen würden.

Für das Verständnis des Mahles ist der Hinweis wichtig, dass eine der Formen der im Judentum üblichen Opfer im Tempel das Heilsmahlopfer oder auch Gemeinschaftsopfer war. Auch wenn die Differenzierungen der Opfer nicht ganz sicher ist und auch nicht letztendlich geklärt ist, wie der hebräische Begriff zu übersetzen ist, so kann doch gesagt werden, dass das Heilsmahlopfer in besonderer Weise die Gemeinschaft der Opfernden mit Gott bewirkt (vgl. B. Jankowski, "Opfermahl", in Neues Bibel-Lexikon 3, Düsseldorf-Zürich 2001, 45). Die Opfernden verzehrten dabei, in Form eines rituellen Mahles, einen Teil des dargebrachten Opfers. Nicht die Tötung des Opfertieres war dabei schon Opferhandlung, sondern in der Zerlegung und im Verzehr kam das Opfer zum Ausdruck.

Religiöse Mähler waren im Judentum allerdings nicht auf Praktiken im Zusammenhang mit dem Tempelkult beschränkt. Bei den frommen Menschen, besonders bei den Pharisäern, hatte jede Mahlzeit auch eine religiöse Dimension und schloss, auch rituell, die dankende Lobpreisung Gottes für die empfangenen Gaben, für das Essen und Trinken, mit ein. Gerade diese Menschen waren oft sehr vorsichtig, nicht nur in Bezug auf das, was sie aßen, sondern auch in Bezug auf die Personen, mit denen sie aßen, da ein gemeinsames Mahl mit denen, die als unrein galten, auch die eigene kultische Reinheit kompromittierte. Aus diesem Grund nahmen viele seiner Zeitgenossen am Verhalten Jesu Anstoß. Obwohl er als frommer Jude gelten wollte, aß er doch mit den am Rande der Gesellschaft stehenden - mit Zöllnern und Sündern (z. B.: Mt 9,10-13; Mk 2,15-17; Lk 5,29-32) und machte so die Gemeinschaft Gottes mit den Unreinen, ja mit den Sündern deutlich.

Darüber hinaus ist es Teil der jüdisch-eschatologischen Vorstellungen, das Reich Gottes am Ende der Zeiten als großes Festbankett zu beschreiben, bei dem alle, die bei Gott Gnade gefunden haben, mit ihm zusammen essen und trinken. Auch Jesus wendet dieses Bild in seiner eigenen Lehre an (z. B. Mt 8,11-12; Lk 13,28-29). In den synoptischen Evangelien wird auch das Letzte Abendmahl in die Nähe dieses eschatologischen Bildes gerückt: "Ich werde nicht mehr von der Frucht des Weinstocks trinken, bis zu dem Tag, an dem ich von neuem davon trinke im Reich Gottes." (Mk 14,25). Auch die sog. Brotvermehrungen sind in diesem Licht zu sehen: als symbolische Antizipationen des messianischen Festmahles. Die, die jetzt mit Jesus essen, werden auch im künftigen Leben mit ihm Festmahl halten. (Vgl. P. Bradshaw, Early Christian Worship, 50-51.)

Nicht nur das Letzte Abendmahl, sondern alle gemeinsamen Mahlzeiten Jesu mit seinen Jüngern wurden daher von den Teilnehmenden nicht nur als Ausdruck der Gemeinschaft untereinander, sondern auch als Bezeugung ihrer Gemeinschaft mit Gott gesehen. Ein solches Mahlereignis war daher nicht nur ein prophetisches, auf die eschatologische Zukunft hinweisendes Symbol, sondern gleichzeitig der Eintritt in diese Zukunft schon hier und jetzt.

Noch in neutestamentlicher Zeit wird die Eucharistie vor allem mit dem gemeinsamen Brotbrechen (Apg 2,46), dem Mahlritus also, identifiziert. Die Kirchenväter brauchen eher das Bild des Kelches und des vergossenen Blutes Christi, um den Opferaspekt der Eucharistie herauszustellen. Als dann, mitbedingt durch rein praktische Gründe, die Kelchkommunion der Gläubigen, die sich im Westen bis ins 12. Jh. - mancherorts auch darüber hinaus - erhalten hatte, wegfällt, konzentriert sich der Aspekt des Opfers ganz auf das Brot. Das was bis dahin den Aspekt des gemeinsamen Mahles und der Teilhabe am auferstandenen Christus bezeichnet, wird nun ganz zum Symbol des Leibes Christi, der am Kreuz gestorben ist (vgl. S. Sirboni, Celebrare per comunicare la fede. La forza educativa del linguaggio simbolico, San Paolo, Cinisello Balsamo 2013, 118-119). Auf diesem Hintergrund ist zu verstehen, wie fast 7 Jahrhunderte lang, bis 1969, ausschließlich der Aspekt des Opfers bei der Feier der Messe im Vordergrund stand. Der Mahlaspekt war fast völlig verloren gegangen. Im Jahr 1215 musste das IV. Laterankonzil sogar anordnen, dass wenigstens einmal im Jahr alle Christen am eucharistischen Mahl teilnehmen. Und selbst bei dieser Gelegenheit empfing man dann in der Regel die Kommunion mit Hostien, die schon in einer früheren Messe konsekriert worden waren und häufig auch ohne inneren Zusammenhang mit der konkreten Feier der Messe.

Mit der Liturgiereform nach dem 2. Vat. Konzil ist der Aspekt des eucharistischen Mahles, das Gemeinschaft mit Gott und untereinander stiftet, wieder stärker betont worden (SC 6 und 10 sprechen ausdrücklich vom "Herrenmahl"). Dabei geht es nicht um eine Abwertung des Opfercharakters sondern darum, herauszustellen, dass wir das Opfer Christi in Mahlgestalt feiern. Die Gestalt des Mahles ist - auf dem oben beschriebenen Hintergrund - keine optionale Zutat, sondern integraler Bestandteil. Wenn wir vom gemeinschaftsstiftenden Mahl sprechen, so geht es nicht um ein Gefühl von Gemeinschaft, sondern um die wirklich gestiftete Verbindung der Teilnehmenden untereinander und mit Gott.

Schon die Teilnahme der Jünger Jesu am rituellen Mahl mit dem Herrn war ein Zeichen ihrer Versöhnung mit Gott und ihrer Mitgliedschaft unter den Auserwählten, die eines Tages am eschatologischen Mahl im Reich Gottes teilhaben werden. Für die Teilnahme an der Eucharistie gilt dasselbe. Sie ist ein wirkmächtiges Zeichen für unsere Versöhnung mit Gott (Mt 26,28) und Ausblick auf das eschatologische Festmahl im Reiche Gottes.

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