Die Kniebeuge des Priesters nach den Herrenworten (Einsetzungsworten) und das Knien der Gemeinde: mittelalterliche Modernisierungen im Hochgebet
Mit Veränderungen im Eucharistiegebet tut sich die Kirche schwer und sie hat sich schon immer schwer damit getan. Ursprünglich wurde das gesamte eucharistische Hochgebet vom Bischof oder Priester stehend gesungen, während sich alle umstehenden ab dem Sanctus verneigten. Weitere Gesten waren nicht vorgesehen, nur zur abschließenden Doxologie hielt der Erzdiakon den Kelch (der übrigens Henkel hatte) hoch und der Papst berührte diesen mit den Opferbroten. So lesen wir es in einer der ältesten überlieferten Beschreibungen der römischen Papstmesse im 7. oder 8. Jh.:
[C]um dixerit: Per ipsum et cum ipso, levat cum offertorio calicem per ansas et tenet exaltans illum iuxta pontificem. / Pontifex autem tangit a latere calicem cum oblatis, dicens: Per ipsum et cum ipso, usque Per omnia saecula saculorum, et ponit oblationes in loco suo et archidiaconus calicem iuxta eas [...] (Ordo Romanus I, 89-90: Les Ordines Romani du haut moyen âge, Bd. 2, hg. M. Andrieu [SSL.ED 26], Louvain 1948, 96).
Und wenn er [der Papst] sagt Durch ihn und mit ihm ergreift der Erzdiakon den Kelch mit dem Offertoriumsvelum an den Henkeln und erhebt ihn in Richtung des Papstes. / Der Papst berührt die Seite des Kelches mit den Opferbroten und sagt Durch ihn un mit ihm bis jetzt und in Ewigkeit und legt die Opferbrote zurück an ihren Platz [auf dem Altar]. Der Erzdiakon stellt den Kelch neben sie.
Auch Gregor d. Große (+ 604) hat wohl in dieser Form die Messe gefeiert. Selbstverständlich wurde das Hochgebet laut gesungen, da ja vorgesehen war, zu welchen Textpassagen die Subdiakone und der Erzdiakon sich aufrichten mussten, um dann rechtzeitig ihren Aufgaben nachkommen zu können. Sie mussten den Text also hören können.
Erst nach der ersten Jahrtausendwende ging man nach und nach dazu über, den auf das Sanctus folgenden Teil - bis zur abschließenden Doxologie ausschließlich - still zu sprechen. Die Gründe dafür sind vielschichtig und auch noch nicht endgültig erforscht (s. hierzu H.B. Meyer, "Die Kanonstille und die Konsekrationsworte", in Ders. Luther und die Messe [KKTS 11], Paderborn 1965, 214-237). Gleichzeitig vermehrten sich die Riten und Gesten während des Gebetes. Der für das Volk nicht mehr zu hörende Text wurde zunehmend durch Gesten, wie z.B. Kreuzzeichen, unterstrichen, ab dem 12. Jh. vor allem auch durch das Zeigen der Hostie (ein Zeigen des Kelches blieb lange Zeit und vielerorts noch verboten, setzte sich nur sehr langsam durch und wurde erst 1570 verpflichtend). Die "Elevation" der Hostie entstand ursprünglich aus einer Ausdeutung und Dramatisierung der Worte "er nahm das Brot (accepit panem)" vor den Einsetzungsworten. Die Priester erhoben dabei die Hostie ein wenig, einige wohl auch sehr hoch, so dass z.B. der Bischof von Paris im Jahr 1197 anordnen musste, dass die Hostie zu den Worten accepit panem nur bis in Brusthöhe zu erheben ist, und erst nach den Einsetzungsworten der Gemeinde gezeigt werden darf (vgl. a. J.A. Jungmann, "Accepit panem", ZKTh 67 [1943] 163-164):
Praecipitur presbyteris, ut cum in canone Missae incoeperint, Qui pridie, tentenes hostiam, ne elevent eam statim nimis alte, it quod possit ab omnibus videri a populo, sed quasi ante pectus detineant, donec dixerint: Hoc est corpus meum: & tunc elevent eam, ut possit ab omnibus videri [...] (Odo v. Paris, Synodicae constitutiones, c. 28 [Mansi XXII, 682]).
Die vorherrschende Sorge war, dass die Gemeinde schon beginnt, den in der Eucharistie gegenwärtigen Herrn anzubeten, sobald sie die Hostie sieht, auch wenn diese noch nicht Leib Christi ist. Die beginnende theologische Systematisierung nimmt dies zum Anlass, sich Gedanken um einen Wandlungszeitpunkt zu machen, den sie dann im Aussprechen der «fünf Worte» hoc est enim corpus meum zu finden meint.
Kirchen, deren Liturgie keine Erhebung der Gestalten im Eucharistiegebiet kennt, haben sich übrigens nie Gedanken über einen Konsekrationszeitpunkt gemacht. Die Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi geschieht durch das große vom Priester vorgetragene Dankgebet. Wann genau ist nicht weiter zu definieren.
Verschiedentlich wurden in den Kirchen dann auch rechts und links des Altars Vorhänge aufgestellt, um zu verhindern, dass sich um den Altar drängende Menschen die Hostie vor dem Aussprechen dieser Worte erblickten. Eine tiefe Verneigung des Priesters mit dem Aufstützen der Unterarme auf dem Altar sollte dieselbe Funktion haben, so wie auch das an die Laien gerichtete Verbot, sich dem Altar von der Seite zu nähern. Eine gleichzeitig immer stärker werdende Schaufrömmigkeit, die für die meisten Menschen den Kommunionempfang ersetzte, hob zusätzlich das Verlangen nach dem Anschauen der erhobenen Hostie hervor. Aus Gründen der Verehrung, allerdings gegen harte Widerstände, wird schließlich vor und nach dem Zeigen der Hostie eine Kniebeuge des Priesters eingeführt. Gleichzeitig ändert sich auch die Haltung des Volkes: Zu Beginn des 13. Jahrhunderts wurde eine Prostratio (ein sich Niederwerfen mit dem Gesicht zum Boden) gefordert (bis dahin war es üblich, dass sich alle Anwesenden, bis auf den Zelebranten selbst, während des Gebetes lediglich tief verneigten). Die Prostratio sollte bei den Worten über das Brot beginnen und bis zu den Worten über den Kelch einschließlich andauern. Ein Glockenzeichen war dafür nötig, da die Anwesenden den Text ja nicht hören konnten. So hatte dies z.B. der Zisterzienserkardinal Guido v. Präneste in Köln angeordnet.
Praecepit enim ut ad elevationem hostiae omnis populus in ecclesia ad sonitum nolae veniam peteret, sicque usque ad calicis benedictionem prostratus iaceret (Cäsarius v. Heisterbach, Dialogus miraculorum IX, 51, hg. J. Strange, Bd. 2, Köln-Bonn-Brüssel 1851, 206, bit.ly/3L7OQFj).
Kurze Zeit später wurde die Prostratio ersetzt durch ein sich Niederknien (auf beide Knie), da man ja die Hostie sehen wollte. Allerdings stand man spätestens nach dem Kelchwort auch wieder auf.
Den Priester kannte man allerdings nur als stehend während des Gebetes. Den Kniebeugen hat man daher lange Widerstand entgegengebracht. Man konnte sich einfach nicht vorstellen, dass im Herzen der Eucharistiefeier der Priester plötzlich andere Haltungen einnimmt, als die überlieferte stehende. Sichere Belege hinsichtlich der Kniebeugen des Zelebranten finden sich erst in der zweiten Hälfte des 15. Jh. Zudem galt das Niederknien mit nur einem Knie lange Zeit noch als unehrerbietig und dem Gottesdienst nicht angemessen. Mit einem Knie kniete man vor weltlichen Herrschern, vor Gott - wenn überhaupt - mit beiden Knien (so Regino von Prüm im Jahr 906 in seinem Rechtsbuch De synodalis causis I, c. 391, hg. F.G.A. Wasserschleben, Leipzig 1840: mit einem Knie vor dem weltlichen Herrn, der nur über den Leib gebieten kann; mit beiden Knien vor Gott, der über Seele und Leib gebietet). Das Messbuch Papst Clemens V. (1305-1314) kennt trotz ausführlicher Rubriken weder eine Kanonstille noch Kniebeugen des Priesters während des Hochgebetes. Die Elevation der Hostie und des Kelches ist allerdings vorgesehen (Edition des Textes von Ł. Celiński "Messale papale di Clemente V", in Studi sulle fonti della liturgia romana (Messale - Lezionario - Pontificale), hg. D. Jurczak-M. Tymister [Ecclesia orans. Studi e ricerche 6], Napoli 2022, 216). Einige Orden haben die Neuerung der Kniebeuge noch ausdrücklich und lange bekämpft. Statt einer Kniebeuge sollte man sich nur tief verneigen. Das Generalkapitel der Karmelitaner in Padua hat das Verbot der Kniebeuge noch 1532 ausdrücklich eingeschärft (Belege bei P. Browe, "Die Elevation in der Messe", JLw 9 [1929] 46-47). Eine Verehrung des Kelches durch Verneigung oder Kniebeuge wird lange Zeit überhaupt nicht erwähnt und ist im Messbuch erst seit 1570 vorgeschrieben. Vorher finden wir nur hier und da in den unterschiedlichen Büchern Zeugnisse dafür, die aber keine universale Gültigkeit beanspruchen.
Übertreibungen beim Zeigen der Hostie stand man folgerichtig ebenfalls kritisch gegenüber. Bei den Worten accepit panem erhoben immer mehr die Priester die Hostie, offiziell maximal bis auf Brusthöhe. Wenn sie dann nach den Worten hoc est enim corpus meum die Kniebeuge machten hielten sie die Hostie weiterhin aufgerichtet zwischen Daumen und Zeigefinger beider Hände, die sie auf dem Altar aufstützen, so dass das Volk während der Kniebeuge schon einen Blick auf die Hostie erhaschen konnte. Nach dem Erheben der Hostie wurde die zweite Kniebeuge ebenso durchgeführt, sodass sich praktisch drei Gelegenheiten ergaben, die Hostie zu sehen. Heinrich v. Hessen (+ 1397), der in Wien Theologie lehrte, kritisierte diesen neuen Brauch als Spielerei mit dem Sakrament:
Nach den Wandlungsworten halten sie [die Priester] die Hostie eine Handbreit hoch, wobei sie die erhobenen Hände auf den Altar stützen und die Knie beugen. Dann heben sie sie über den Kopf hinaus -, und wenn sie von der Kniebeuge aufstehen, halten sie sie noch ein drittes Mal empor. Sie mögen mir's nicht übel nehmen, aber das scheint mir ein Spiel mit dem Sakrament und jedes vernünftigen Sinnes bar (taliter ludere cum sacramento videtur mihi fieri sine sapientia) (zit. bei Browe, "Die Elevation" 49 mit Fn. 188).
Priester, die aus Frömmigkeit oder um sie dem herbeieilenden Volk zu zeigen, die Hostie besonders lange hochhielten oder sie auch noch nach rechts und links drehten, wurden von ihm ebenso scharf kritisiert, und eine Elevation des Kelches über Augenhöhe hinaus hielt er schlichtweg für Aberglauben, da man das Sakrament des Blutes sowieso nicht sieht:
Elevant quidem calicem fere sicut hostiam in altitudinem, sed hoc puto superstitiosum, quod quamvis alte tollatur, nihilominus non videtur sacramentum. Sufficit ergo ut ad altitudinem tollatur oculorum (zit. bei Browe, "Die Elevation" 35, Fn. 103).
Man sieht, wie sich Änderungen im Herzen der Eucharistiefeier nur schwer durchsetzen können und lange bekämpft werden. Das Zeigen der Hostie setzte sich seit dem 12. Jh. nur langsam durch, ebenso die Kniebeugen, die erst ab 1570 allgemein vorgeschrieben waren. Es handelt sich also um Riten, die gerade knapp 400 Jahre universal verbreitet waren, als das 2. Vatikanische Konzil die jüngste Liturgiereform anstieß.
Vor und während der nachvatikanischen Liturgiereform ist auch die Gestik im Hochgebet überdacht worden (s. dazu z.B. H.B. Meyer, "Zur Frage der Elevation", LJ 18 [1968] 60-64). Auf den Prüfstand kamen einerseits die Kniebeugen im Hochgebet, vor allem da sich herausgestellt hatte, dass sie dazu beigetragen hatten, das Hochgebet in unterschiedliche Teile aufzuspalten, denen dann unterschiedliche Bedeutung beigemessen wurde, und andererseits auch das Zeigen der Gestalten, das sich zu einer Elevation über den Kopf des Priesters (der ja dem Volk abgewandt am Altar stand) entwickelt hatte, auch wenn das Messbuch an dieser Stelle niemals von einer Elevation gesprochen hatte. Eine Elevation, wenn auch nicht über den Kopf des Priesters und daher vom Volk unbemerkt, gab es aus alter römischer Tradition (s.o.) nur zur abschließenden Doxologie des Gebetes (Per ipsum ...).
Die Erfahrungen und das Vorgehen ähneln sich: Veränderungen im Herzen der Feier setzen sich nur schwer durch, daher hielt man an einigen der im 16. Jahrhundert festgeschriebenen Neuerungen fest: die vier Kniebeugen (jeweils vor und nach dem Erheben von Hostie und Kelch) wurden nicht wieder vollständig abgeschafft, sondern auf zwei Kniebeugen (nach dem dem Zeigen der Hostie und des Kelches) reduziert. Auch das nachkonziliare Messbuch spricht weiterhin vom "Zeigen" (nicht aber vom Erheben/Elevieren). Wenn der Priester dem Volk zugewandt am Altar steht, erübrigt sich an dieser Stelle auch ein besonderes Erheben, da die Gemeinde Hostie und Kelch ja schon vorher sieht und den Text des Gebetes mit vollziehen kann. Ein Zeigegestus geht niemals höher als die eigenen Augen. Die "kleine Elevation" zur abschließenden Doxologie ("Durch ihn und mit ihm und in ihm...") ist jetzt zur einer wirklichen und sichtbaren Elevation, dem Erheben der Gestalten über die versammelte Gemeinde geworden, die die Heiligung des Volkes Gottes bezeichnet.
Berthold von Chiemsee (Tewtsch Rational über das Ambt heiliger meß, [s.l.] 1535, c. 14, 9, zit. bei H.B. Meyer, "Die Elevation", ZKTh 85 [1963] 164) sah hier übrigens durchaus nochmal eine Steigerung innerhalb des Gebetes: Das Erheben der Hostie (und des Kelches) nach den Einsetzungsworten deutet er als das Darreichen des Brotes und Weines durch Christus im Abendmahlssaal, während die Elevation zur Doxologie die Erhöhung Christi am Kreuz bezeichnet. Da seit 1970 die Gemeinde den Text des Gebetes wieder mitvollziehen kann, erübrigt sich eine solch ausufernde Deutung der Gesten und es wäre zu überlegen, doch wieder auf sie zu verzichten, um das Gebet erneut als einheitlich Ganzes wahrzunehmen.