40 Tage? - Beginn und Dauer der österlichen Bußzeit

Veröffentlicht auf von Markus Tymister

40 Tage? - Beginn und Dauer der österlichen Bußzeit

Beginn und Dauer der Vorbereitungszeit auf Ostern variieren in der Geschichte und an Versuchen, sie zu vereinheitlichen hat es nicht gefehlt.

Bis zur letzten Liturgiereform gab es vor dem Aschermittwoch noch die drei Sonntage der Vorfastenzeit: Septuagesima, Sexagesima und Quinquagesima. In der Liturgie waren sie dadurch geprägt, dass violette Paramente getragen und Gloria und Halleluja nicht gesungen wurden. Schon die violette Farbe stellt deutlich den Bußcharakter heraus, der auch dann bestand, wenn die Vorfastenzeit schon vor dem 2. Februar begann und in den Kirchen noch Krippe und Weihnachtsdekoration standen, ja noch vom Weihnachtsfestkreis die Rede war.

Die Vorfastenzeit ist wohl im 6. Jahrhundert entstanden, als Mönche das vorösterliche Fasten zunehmend auf die (symbolische) Dauer von 40 Tagen ausweiteten. Wahrscheinlich wurden hier östliche Traditionen zum Vorbild genommen, in denen die die Fastenzeit schon acht Wochen vor Ostern begann. Da in der östlichen Tradition der Samstag und der Sonntag keine Fasttage sind und wenn man zudem das Fasten in der Karwoche nicht zum vorösterlichen Fasten zählt, musste die Fastenzeit am 9. Sonntag vor Ostern beginnen, um auf die symbolische Zahl von 40 Fasttagen zu kommen. Die Ausweitung des Fastens auf die Wochen, die dann zur Vorfastenzeit wurden, war wahrscheinlich auch durch die Wiederholten Einfälle der Goten und Langobarden mitbedingt, die für das Volk zusätzliche Gebets- und Bußübungen mit sich brachten (vgl. M. Augé, «The Liturgical Year in the Roman Rite», in Scientia Liturgica, Bd. 5, hg. A. J. Chupungco, Collegeville (MN) 2000, 184).

Von Anfang an waren die Christen von den Ereignissen des Todes und der Auferstehung Christi, die allein dem Leben des Menschen und der Welt Sinn verleihen konnten, so fasziniert, dass sie nicht nur die Dringlichkeit einer regelmäßigen Feier erkannten, in der sie, dem Gebot des Herrn folgend, das österliche Mahl hielten, sondern schon seit dem 2. Jahrhundert einen besonderen Sonntag im Jahr für die jährliche Osterfeier des Todes und der Auferstehung Christi reservierten. Um diese Feier würdig zu begehen, bereiteten sie sich mit Fasten und Gebet darauf vor. Schnell wurde auch die Taufe und mit ihr die gesamte christliche Initiation vor allem in der Osternacht gefeiert. An der besonderen Vorbereitung der Taufbewerber, die ebenfalls vor der Taufe fasteten, beteiligte sich oft auch die gesamte Gemeinde. Als dann auch der Donnerstag vor Ostern zum Tag der öffentlichen Versöhnung derer wurde, die sich durch ihr unchristliches Verhalten von der Gemeinde getrennt hatten oder aus ihr ausgeschlossen werden mussten, um ihr nicht zu schaden, rückte die Begleitung der Büßer in den letzten Wochen der Vorbereitung auf die Versöhnung immer mehr ins Bewusstsein der Gesamtgemeinde. Vorbereitung auf Ostern - Vorbereitung auf die Taufe - Vorbereitung auf die Versöhnung, alle drei immer mit Fasten und Gebet verbunden, prägen in den ersten Jahrhunderten die Gestaltung der vorösterlichen Zeit und deren Dauer, deren - zugegeben sehr verworrene - Entwicklung im Folgenden kurz umrissen werden soll (vgl. A. Nocent, «La Quaresima», in Anàmnesis, Bd. 6, ed. A. J. Chupungco, Genova-Milano ²1989, 152-155). Dabei ist zubeachten, dass die einzelnen Etappen sich, je nach Region, zeitlich unterschiedlich entwickeln und auch überschneiden können.

1. Etappe: das innerösterliche Fasten (Karfreitag und Karsamstag)

Das antike österliche Triduum (auch wenn damals als Terminus nicht bekannt) umfasste Karfreitag (Tod des Herrn), Karsamstag (Grabesruhe) und Ostersonntag (Auferstehung). Die ältesten christlichen Schriften berichten von einem Fasten der Taufbewerber am Freitag (Traditio Apostolica 20, ed. Botte, Münster 1989, 43 - 3. Jh.?), bzw. von einem zweitägigen Fasten des Täuflings, des Taufenden und anderer, die es können vor der Taufe (Didachè 7,4 - 1. Jh.). Allerdings kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob sich die Angaben der Traditio Apostolica und der Didachè auf die Tage unmittelbar vor Ostern beziehen. Auch wenn die Zeugnisse, die uns vorliegen, nicht ausreichen, um diese Frage abschließend zu beantworten, so ist doch festzuhalten, dass ein deutlicher Unterschied besteht, zwischen einem Fasten mit asketischem Charakter (in der Fastenzeit) und einem Fasten mit festlichem Charakter (unmittelbar vor Ostern, bzw. vor der Taufe). Letzteres dienst nicht der Buße sonder der, um es in der Sprache der Kirchenväter zu sagen, Erleuchtung - des tieferen Eindringens und Miterlebens des Festgeheimnisses.

2. Etappe: eine Woche Vorbereitung

Im 3. Jahrhundert lässt sich aber für die Kirche von Alexandrien (Ägypten) eine einwöchige Vorgereitungszeit auf Ostern nachweisen (s. Dionisius v. Alexandrien, Epist. ad Basilidem, de magno sabato, quo tempore finiendum sit ieiunium, ed. C. Feltoe, Cambrige 1904, 94-105, cit. nach A. Chavasse, L'Eglise en prière, hg. A.-G. Martimort, Paris ³1965, 729). Für Rom kann festgehalten werden, dass Freitag und Sonntag vor Ostern die Bezeichnung De Passione hatten, und am Mittwoch und am (Kar-)Freitag in der Woche vor Ostern die Eucharistie nicht gefeiert wurde. Im 5. Jh. wird dann am Sonntag, am Mittwoch und am (Kar-)Freitag vor Ostern die Passion gelesen, wobei es sich anscheinend um eine antike Praxis handelt. Die Woche vor Ostern war demnach auch in Rom eine Woche der besonderen Vorbereitung; einen Hinweis, dass auch das Fasten zu dieser besonderen Vorbereitung gehörte, haben wir allerdings nicht.

3. Etappe: drei Wochen Vorbereitung

Im 4. Jahrhundert bildet sich eine dreiwöchige Vorbereitung in Rom heraus, wie einigen Inditien zu entnehmen ist. Der 3. Sonntag vor Ostern bekommt in Rom die Bezeichnung In mediana (= "zwischen zwei Zeiten"; s. M. Andrieu, Les ordines Romani du haut moyan age, Bd. 3, Leuven 2006, 311-312). Dieser Sonntag, der bis heute als Sonntag Laetare einen besonderen Charakter hat, war wohl einmal der Beginn der Vorbereitungszeit. Das wird auch dadurch deutlich, dass damals (wie auch heute noch) in den letzten drei Wochen vor Ostern aus dem Johannesevangelium gelesen wurde und zwar besonders die Abschnitte, die sich auf das Herannahen des Osterfestes und auf Jesu Anwesenheit in Jerusalem beziehen. Auch berichtet Sokrates Scholastikos (+ 440) in seiner Kirchengeschichte, dass in den frühen Jahrzehnten des 5. Jahrhunderts in Rom dem Osterfest eine dreiwöchtige Vorbereitungszeit voranging (Hist. Eccl. V, 22, ed. Migne, PG 67, 632B).

4. Etappe: sechs Wochen Vorbereitung

Diese Etappe, über die wir gesicherte Zeugnisse haben, beginnt etwas vor 384. Sie hatt einen deutlich asketischen Charakter, der sich mit der Einführung der öffentlichen Büßerversöhnung am Gründonnerstag erklärt. Der Vormittag des Gründonnerstags hatte sich für die Feier der Versöhnung herausgebildet, damit die Versöhnten dann wieder als Vollmitglieder der Gemeinde an den österlichen Feiern teilnehmen konnten. Auf diesen Tag bereiteten sie sich durch ein 40-tägiges Fasten vor (vgl. A. Chavasse, L'Eglise en prière, 726). Erster Tag des Fastens der Büßer war dann der 6. Sonntag vor Ostern und als 40. Tag zählte der Gründonnerstag selbst. Im ambrosianischen Ritus der Diözese Mailand, ist der 6. Sonntag vor Ostern auch heute noch der Beginn der Vorbereitungszeit auf Ostern. Für Rom kennt schon Leo der Große (440-461) die genau 40-tägige Vorbereitungszeit, mit Beginn am 6. Sonntag vor Ostern und dem Ende am Gründonnerstag. Für Leo d. Großen war die Vorbereitungszeit allerdings nicht gleichbedeutend mit dem Fasten. Fasttage konnten damals - wenn überhaupt - nur 34 gezählt werden, da grundsätzlich an den Sonntagen nicht gefastet werden durfte.

5. Etappe: der Aschermittwoch

Im 5. Jahrhundert beginnt man den Freitag und den Mittwoch vor dem 6. Sonntag vor Ostern so zu feiern, als ob sie zur Fastenzeit dazugehörten. Mittwoch und Freitag hatten schon länger ein asketisches Gepräge, das häufig mit fasten verbunden war, und so war der Weg nicht weit, sie zur Fastenzeit hinzuzuziehen. Der Donnerstag bekommt eine Eucharistiefeier überhaupt erst mit Gregor II (715-731). Eine der Antifonen, die in Rom bei dieser Gelegenheit am Mittwoch vor dem 6. Sonntag vor Ostern gesungen wurde, anlässlich der Prozession des Papstes vor Beginn der Messfeier, lautet: "Erneuern wir unser Leben, nutzen wir Asche und Bußgewand" (AMS 37a). Asche und Bußgewand waren allerdings damals noch Zeichen derjenigen, die sich öffentlich als Büßer zu erkennen gaben und um die Wiederaufnahme am Gründonnerstag baten. Um das 10. Jahrhundert herum, in einer Zeit, in der die öffentliche Kirchenbuße vielerorts schon verschwunden war, wurde dann die Segnung und Auflegung der Asche zu einem Zeichen, das unterschiedslos von allen empfangen wurde. Ein seit dem 7. Jahrhundert im Frankenreich neu eingeführtes wiederholbares Bußsystem hatte es auch erst möglich gemacht, dass alle aufgerufen werden konnten, sich am Aschermittwoch diesem System zu unterwerfen und dann auch die Asche als äußeres Zeichen der Buße zu emfpangen. Eine Verpflichtung, sich einmal jährlich einem offiziellen Bußregime der Kirche zu unterwerfen gab es damals allerdings nicht. Im Zusammenhang mit der Bußdisziplin, die nach und nach für alle galt, bekam die Vorbereitungszeit auf Ostern auch einen immer mehr asketischen Charakter und wurde so zur allgemeinen Fastenzeit. Mit der Vorverlegung des Beginns der vorösterlichen Zeit auf den Mittwoch kommt man nun auch auf genau 40 Fasttage, wenn man bedenkt, dass die Sonntage ausgenommen sind und man das innerösterliche Fasten am Karfreitag und Karsamstag hinzuzählt.

Die Problematik der heutigen Zählung

Festzuhalten ist, dass das österliche Triduum mit der Abendmesse des Gründonnerstag beginnt. Auch wenn man in der Antike nicht von einem österlichen Triduum gesprochen hat, so hilft dieser Begriff doch bei der Beschreibung dessen, was gemeint ist: Am Abend des Gründonnerstag treten wir ein in die eine Feier von Tod und Auferstehung des Herrn. Damit sind aber auch Karfreitag und Karsamstag von der Vorbereitungszeit auf Ostern grundsätzlich unterschieden: All das, was vor dem Abend des Gründonnerstages geschieht, dient der Vorbereitung auf das, was dann folgt. Die vorösterliche Bußzeit endet damit folgerichtig am Abend des Gründonnerstages, vor dem Beginn der Abendmahlsmesse. So ist es auch in Nr. 28 des gültigen römischen Kalenders festgelegt. Wenn aber nun die Fastenzeit am Aschermittwoch beginnt, kann man zählen, wie man will, man kommt nur auf 38 Fasttage (unter Auslassung der Sonntage) bzw. auf 44 Tage (wenn man die Sonntage mitzählt).

Nun gibt es nirgends eine Vorschrift, dass die vorösterliche Bußzeit genau 40 Tage betragen müsse. Die 40-tägige Quadragese war vielmehr eine symbolische Zeit, im Hinblick auf - ebenfalls symbolische - Zeiträume von 40 Tagen oder 40 Jahren, die in der Hl. Schrift immer eine Umformung, eine Erneuerung des Menschen bedeuten: so z. B. die Sintflut (Gen 7,12.17; 8,6), der Aufenthalt des Mose auf dem Berg (Ex 24,18), die Wanderung Israels in der Wüste (Num 14,33-34; 32,13; Ps 94,10), die Predigt des Jonas in Ninive (Gen 3,4), die Versuchungen Jesu in der Wüste (Mk 1,13; Mt 4,2; Lk 4,2). In diesem Sinne soll auch die Quadragese eine Erneuerung des Menschen bedeuten und bewirken. Bei der Umgestaltung, bzw. Erneuerung ist das Fasten als alte asketische Praxis sicher nicht zu verwerfen, allerdings geht es um viel mehr, als um einen Verzicht auf Nahrung. Das hatte Papst Paul VI. in seiner Apostolischen Konstitution "Paenitemini" vom 17. Februar 1966 schon deutlich gemacht und daher die Verpflichtung zum Fasten in der vorösterlichen Zeit aufgehoben und nur noch zwei Tage, nämlich Aschermittwoch und Karfreitag, als Fasttage benannt.

Nachdem der neue römische Kalender von 1969 die Bedeutung und zeitliche Abgrenzung des Triduums wieder hervorgehoben hatte, und klar geworden war, dass es nicht zur vorösterlichen Zeit hinzugerechnet werden kann; und aufgrund der Änderungen, die die Apost. Konstitution Paenitemini mit sich gebracht hatte, nicht mehr nach 40 Fasttagen zu suchen war, stellte sich die Frage, ob der Beginn der österlichen Bußzeit nicht besser wieder auf den 6. Sonntag vor Ostern zu legen sei, um die Symbolik der 40 Tage der Vorbereitung (6. Sonntag vor Ostern bis Gründonnerstag = 40 Tage unter Einbeziehung der Sonntage) wiederherzustellen. Es war Papst Paul VI. der, auf das Problem hin angesprochen, damals feststellte, dass es sehr problemanisch wäre, den Aschermittwoch heute neu einzuführen, da er aber im römischen Ritus überall fest etabliert sei, wäre es nicht gut, auf ihn zu verzichten. Außerdem würde das Zeichen der Ascheauflegung dann in Gefahr geraten, unterzugehen. Daher entschied man sich im römischen Ritus für eine vorösterliche Bußzeit von 44 Tagen, deren erster - der Aschermittwoch - als Fasttag qualifiziert ist. Einen zweiten verbindlichen Fasttag gibt es am Karfreitag, an dem die uralte Tradition (s.o. 1. Etappe) des innerösterlichen Fastens weiterlebt. Wie gesagt, der Karfreitag gehört NICHT zur österlichen Bußzeit.

Die Ambivalenz des Beginns der österlichen Bußzeit lebt noch in den Orationen der Messfeier fort. Im Tagesgebet des Aschermittwochs beten wir: "Getreuer Gott, im Vertrauen auf dich beginnen wir die 40 Tage der Umkehr und Buße." und im Gabengebet: "Herr, unser Gott, zu Beginn der heiligen 40 Tage bringen wir dieses Opfer dar [...]." während es im Gabengebet des 1. Sonntags der hl. 40 Tage heißt: Fac nos, quaesumus, Domine, his muneribus offerendis convenienter aptari, quibus ipsius venerabilis sacramenti celebramus exordium, was im deutschen Messbuch etwas konziliant wiedergeben ist mit "Herr, unser Gott, wir bringen Brot und Wein für das heilige Opfer, das wir zum Beginn dieser Fastenzeit feiern." Aus dem lateinischen Text geht noch deutlicher, als in der deutschen Übertragung, hervor, dass es sich um eine Oration aus einer Messe handelt, mit der ursprünglich am Sonntag die vorösterliche Zeit begonnen wurde.