Handkommunion oder Mundkommunion?
Für die alte gallikanische Liturgie, die erst von Karl dem Großen im 9. Jahrhundert durch den römischen Ritus ersetzt wurde, gibt es einige interessante Zeugnisse über die Art und den Ort des Kommunionempfanges (vgl. G. Nickel, Der Anteil des Volkes an der Meßliturgie im Frankenreiche (Forschungen zur Geschichte des innerkirchlichen Lebens 2), Innsbruck 1930, 61-66):
Das Provinzialkonzil von Tours (567) äußert sich in einer seiner Bestimmungen zur Nutzung des Altarraumes:
"Pars illa, quae a cancellis versus altare dividitur, choris tantum psallentium pateat clericorum. Ad orandum vero et communicandum, laicis et feminis, sicut mos est, pateant sancta sanctorum" («Concilium Turonense», in Concilia Galliae 511-695, ed. C. de Clercq, (CCSL 148A) Turnhout 1963, 178).
(Jener Teil, der von den Gittern zum Altar hin abgetrennt ist, stehe dem Chor der singenden Kleriker offen; zum Beten und Kommunizieren werde das Allerheiligste Laien und Frauen geöffnet, wie es üblich ist.)
Hier ist zuerst einmal etwas über den Ort des Kommunionempfangs gesagt: Männer wie Frauen kommunizieren im Altarraum, ja am Altar selbst.
Auch der Bericht über ein Wunder am Grabe des Hl. Martin gibt die gleichen Informationen. Ein von seiner Lähmung geheiltes Mädchen tritt zur Kommunion an den Altar:
"[...] dissoluti sunt nervi, qui ligati erant et stetit super pedes suos, cuncto populo spectante, et sic, propitiante Domino, usque ad altare sanctum ad communicandum propriis gressibus nullo sustentante pervenit" (De miracolis S. Martini II, 14, ed. J. P. Migne (PL 71), 947A).
(Ihre gefesselten Nerven wurden wieder gelöst und sie konnte, unter den Blicken des versammelten Volkes, auf eigenen Füßen stehen. Durch die Güte des Herrn gelangte sie so mit eigenen Schritten und ohne weitere Hilfe zum heiligen Altar, um zu kommunizieren.)
Der Empfang der Kommunion geschah stehend und zwar auf die Hand. Caesarius von Arles (+542) schreibt in einer seiner Predigten:
"Omes viri quando ad altare accessuri sunt lavant manus suas et omnes mulieres nitida exhibent lineamenta, ubi corpus Christi accipiunt" (Caesarius v. Arles, Sermo 229, 5, ed. J. P. Migne (PL 39), 2168).
(Alle Männer waschen sich die Hände, bevor sie zum Altar treten und die Frauen halten ein reines Tüchlein, worauf sie den Leib Christi empfangen.)
Im römischen Ritus ist die Art des Kommnionempfanges dieselbe gewesen, nur war der Altarraum den Klerikern vorbehalten. Als im fränkischen Raum ab dem 9. Jh. der römische Ritus eingeführt wurde, hat es lange gedauert, bis diese Bestimmung sich durchsetzte. So sehr war der Kommunionempfang am Altar selbst verwurzelt.
Nähere Einzelheiten zum Kommunionempfang im römisch-fränkischen Ritus finden wir im 8. Jh. schon für St. Gallen bezeugt:
"Post haec discendit pontifex a sede sua et communicat populum qui manus suas extendere ad ipsum putuerit et revertitur ad sedem suam. Reliquum vero populum communicant episcopi et presbiteri et confirmant semprer diaconi." (Breviarium ecclesiastici ordinis (OR XVII): Les Ordines Romani du hout moyen-age, ed. M. Andrieu, Bd. 3 (SSL 24), Louvain 1971)
(Anschließend steigt der Bischof von seinem Sitz herab und reicht die Kommunion dem Volk, das ihm seine Hände entgegenhält, und kehrt dann zu seinem Sitz zurück. Das übrige Volk empfängt die Kommunion durch die anderen Bischöfe und Presbyter; und die Diakone reichen den Kelch.)
Der Bischof, der der Messfeier vorsteht, reicht die Kommunion den Vornehmen aus dem Volk auf die Hand. Die anderen Gläubigen empfangen die Kommunion auf dieselbe Art aus der Hand weiterer Bischöfe und Priester. In beiden Fällen "confirmant semper diaconi" reichen die Diakone den Kelch. Die Kommunion unter der Gestalt des Brotes allein war damals noch undenkbar.
Erst ab der ersten Jahrtausendwende vollzieht sich der Übergang zur Mundkommunion im Knien. Mindestens 900 Jahre haben die Christen die Eucharistie stehend und selbstverständlich unter beiderlei gestalten (meist wohl auch direkt am Altar) empfangen. Die Gründe, warum Laien der Zutritt zum Altarraum nach und nach verwehrt wurde, sind vielschichtig und haben vor allem mit alttestamentlichen (und heidnischen) Vorstellungen von kultischer Reinheit zu tun, die sich ja schon in der Forderung nach der Händewaschung für die Männer und dem Kommuniontüchlein für die Frauen ausdrücken.
Gerade in kleiner werdenden Gottesdienstgemeinden sollte es heute sicher eine Überlegung wert sein, sich auf die ältere Kommunionpraxis zu besinnen. Ein Kommunionempfang direkt am Altar scheint erst einmal «unpraktisch» zu sein; aber auch hier gilt: was im normalen Leben «praktisch» ist, ist oft für die Liturgie nicht geeignet (Jungmann). Und die Gefahr, auf den Altarstufen zu stolpern ist nicht mehr so beängstigend, wenn man überlegt, welchen - wesentlich «gefährlicheren» Weg unsere Gemeindemitglieder zurücklegen, um überhaupt zur Kirche zu gelangen. Die ursprünglich nicht christlichen Vorstellungen von kultischer Unreinheit durch Kontakt mit Körperflüssigkeiten sind heute weitgehend überwunden und es dürfte klar sein, dass der Altar nicht ausschließlich den Klerikern vorbehalten ist. Hier ist für unsere Gemeinden sicher noch ein Weg zu gehen (s. auch: Einige Anmerkungen zum Ort der Kommunionausteilung). Ob dann am Altar die Kommunion auf die Hand oder in den Mund empfangen wird, kann dann auch dem Einzelnen überlassen werden, wenn auch die Handkommunion eindeutig die ältere Form ist; wichtig ist jedenfalls die Teilhabe auch am Kelch des Bundes!