Weihrauch zum Magnificat in der Vesper

Veröffentlicht auf von Markus Tymister

Weihrauch zum Magnificat in der Vesper

Die Allgemeine Einführung in das Stundengebet sagt in Nr. 261: "In Laudes und Vesper kann zum Canticum aus dem Evangelium der Altar inzensiert werden." Die Frage nach dem Warum der Altarinzens an dieser Stelle wird gemeinhin sehr schnell mit dem Hinweis beantwortet, das Magnificat in der Vesper sei, wie das Benedictus in den Laudes dem Evangelium in der Messfeier gleichzusetzten und dementsprechend könne dann ja auch Weihrauch verwendet werden. Damit ist allerdings nicht erklärt, warum in der Messfeier das Evangeliar inzensiert wird, bei dem Canticum aus dem Evangelium in der Vesper (und den Laudes) hingegen der Altar. Schließlich kann der Altar ja auch nicht einfach als Ersatz für ein nicht vorhandenes Evangelienbuch herhalten.

Hierbei handelt es sich wohl um eine Kommentierung, die sich bemüht, einen bestehenden Ritus zu deuten, aber keine Rücksicht auf das geschichtliche Werden der Struktur der Vesper nimmt. Eine 1974 veröffentlichte genetische Erklärung von Gabriele Winkler («Über die Kathedralvesper in den verschiedenen Riten des Ostens und des Westens», ALw 16 (1974) 53-102, bes. 100-102) wirft ein etwas anderes Licht auf die Sachlage:

Unter den verschiedenen Elementen der Vesper im römischen Brevier bis zur Reform nach dem 2. Vatikanischen Konzil findet sich vor dem Magnificat der Versikel Dirigatur oratio mea sicut incensum in conspectu tuo. - Wie Weihrauch steige mein Gebet vor dir auf. Der Versikel ist Psalm 141 (140), 2 entnommen: Wie ein Rauchopfer steige mein Gebet vor dir auf; als Abendopfer gelte vor dir, wenn ich meine Hände erhebe. Eben wegen dieses Verses kam der Psalm 141 (140) nicht nur in Rom, sondern wohl in allen Riten im Abendgebet der Säkularkirchen zum Vortrag, ja war sogar dessen zentrales Element. Im Laufe der Geschichte wurde der Abendpsalm im römischen Stundengebet durch die größere Gewichtung anderer Elemente nach und nach verdrängt, bis nur noch die erste Hälfte seines 2. Verses vor der Antiphon zum Magnificat übrig blieb.

Mit dem Abendpsalm war allerdings, zumindest bezeugt seit dem 8. Jh., ursprünglich der Weihrauchritus verbunden. In seinem Kommentar zur Vesper schreibt Amalarius von Metz (809-814 Bischof von Trier, + 850): Cum ipso versu offertur incensum, quod Dominus praecepit offeri. [...] Post hic sequitur ymnus Sanctae Mariae. (Amalarii episcopi opera liturgica omnia 2, hg. J. M. Hanssens, Città del Vaticano 1948, 435). Amalarius kennt also die Weihrauchdarbringung während des Gesangs von Ps. 141 (140), 2. Die Verbindung mit dem Opfergedanken in dem selben Psalmvers legt dann auch nahe, dass die Weihrauchdarbringung vor dem Altar, bzw. in Form einer Altarinzens erfolgt(e). Und zwar auch dann noch, als das Magnificat schon Teil der Vesper war. Der nächste Schritt ist dann offensichtlich: nach erfolgter Verdrängung des Abendpsalmes, zieht das Magnificat als übrig gebliebenes und nun zentrales Element den Weihrauchritus an. Die Parallele zum Benedictus in den Laudes war dann nur noch eine Frage der Zeit.

Allerdings verlor, durch die Verlagerung des Weihrauchritus auf das Magnificat, der von Psalm 141 (140) übrig gebliebene Versikel vorerst seinen Sinn und wurde in der letzten Reform an dieser Stelle gestrichen.

Das neue Gotteslob bietet unter Nr. 659-661 wieder eine Form des Stundengebetes für Kathedral- und vor allem Pfarrkirchen, in der der Abendpsalm mit Weihrauchdarbringung nach dem voraufgehenden Lichtritus wieder eine zentrale Rolle einnimmt; in einer solchen Feier findet zum Gesang des Magnificat schlüssigerweise dann keine Altarinzens mehr statt.

Die Allgemeine Einführung in das Stundengebet sieht in Nr. 261 nach der Altarinzens zum Magnificat/Benedictus auch die Inzens von Priester und Gemeinde vor und kopiert damit gewissermaßen den Weihrauchritus anlässlich der Gabenbereitung in der Messe. Eine Sache, die allerdings nochmals durchdacht werden sollte.

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