Das Kreuzzeichen zu den ersten Worten von Benedictus, Magnificat und Nunc dimittis

Veröffentlicht auf von Markus Tymister

Das Kreuzzeichen zu den ersten Worten von Benedictus, Magnificat und Nunc dimittis

Zu den Anfangsworten der Cantica aus dem Evangelium im Stundengebet, also zum Benedictus in den Laudes, zum Magnificat in der Vesper und zum Nunc dimittis in der Komplet bezeichnen sich alle mit dem Kreuzzeichen.

Die Allgemeine Einführung in das Stundengebet schreibt dazu:

Diese volksnahen Gesänge, die seit alters in der römischen Kirche ihren festen Platz haben, drücken Lob und Dank für die Erlösung aus. (Nr. 50)

Den Lobgesängen Benedictus, Magnificat und Nunc dimittis wird dieselbe Feierlichkeit und Ehre erwiesen wie dem Evangelium. (Nr. 138)

In Laudes und Vesper kann zum Canticum aus dem Evangelium der Altar inzensiert werden. Hierauf werden auch der Priester und die Gemeinde inzsensiert. (Nr. 261)

Alle bezeichnen sich mit dem Kreuzzeichen [...] zu Beginn der Cantica aus dem Evangelium Benedictus, Magnificat und Nunc dimittis. (Nr. 266)

Die Feier des Stundengebetes für die katholischen Bistümer des deutschen Sprachgebietes 1, authentische Ausgabe, Allgemeine Einführung in des Stundengebet, Freiburg... 1978

Auf die Frage nach dem Sinn des Kreuzzeichens zu den ersten Worten dieser Cantica erhält man meist vorschnell eine Antwort mit dem Hinweis auf Nr. 138 der Allgemeinen Einführung und auf die Tatsache, dass sie den Platz der Verkündigung des Evangeliums einnehmen; und am Beginn des Evangeliums in der Messe mache man ja auch ein Kreuzzeichen.

Nun erfolgt das Kreuzzeichen vor dem Evangelium in der Messe erstens nicht bei den ersten Worten der vorgetragenen Perikope, sondern bei der Ankündigung des Evangeliums und hat, zweitens, eine andere Herkunft und Bedeutung.

Die Kreuzzeichen bei der Ankündigung des Evangeliums (in der Reihenfolge ihrer Entstehung: auf die Stirn, auf die Brust, auf den Mund und auf das Buch) entwickeln sich ab dem 9. Jahrhundert im nordalpinen Bereich und nehmen die uns heute bekannte Form im 11.-12. Jahrhundert an. Das Kreuzzeichen (auf die Stirn), mit dem seit alters die Christen alle Dinge beginnen (vgl. Tertullian (+ 220), De corona militis, 3, 4, ed. Kroymann (CCSL 2), 1043: "Ad omnem progressum atque promotum, ad omnem aditum et exitum, ad uestitum, ad calciatum, ad lauacra, ad mensas, ad lumina, ad cubilia, ad sedilia, quacumque nos conuersatio exercet, frontem signaculo terimus.") nimmt hier apotropäische (das Böse abweisende) Funktion an; so, neben anderen mittelalterlichen Kommentatoren, z. B. Wilhelm Durandus (+ 1296), Rationale divinorum officiorum, 4, 24, 28, ed. Davril-Thibodeau (CCCM 140), 353: "Signo crucis in fronte, in ore et in pectore se similiter contra dyabolum muniunt: ne eos impediat in audiendo." (Mit dem Kreuzzeichen auf Stirn, Mund und Brust wappnen sie sich gleichsam gegen den Teufel: damit er sie nicht beim Hören [der frohen Botschaft] hindere.)

Das Kreuzzeichen bei den ersten Worten der Cantica aus dem Evangelium im Stundengebet hat hingegen einen anderen Ursprung (vgl. «Znak križa kod evanđeoskih hvalospjeva», Živo vrelo, hg. Hrvatski institut za liturgijski pastoral, 30 (2013/13) 40):

Als im fortschreitenden Mittelalter viele zum Stundengebet Verpflichtete keine ausreichenden Kenntnisse der lateinischen Sprache mehr hatten, um die Texte zu verstehen, entstand der Brauch, sich jedes Mal mit dem Kreuz zu bezeichnen, wenn im Gebet das Wort benedicere (segnen), oder eine seiner Formen, gesungen wurde; und dies geschah dann auch in den Fällen, in denen benedicere nicht "segnen", sondern auch "loben" und "preisen" bedeutete. Ähnlich war es bei den Wörtern consecrare (weihen) und sanctificare (heiligen), bei denen das Kreuzzeichen deren sprachliche Bedeutung in die Sprache der Gesten übertrug. Der ursprüunglich jüdisch/christliche Segensgestus der Handauflegung war zu dieser Zeit schon mehrheitlich durch das Kreuzzeichen abgelöst. Dies trug mit zur Vermehrung der Kreuzzeichen, vor allem in der Messfeier bei.

Als Beispiel für die bedeutungsmäßig problematische Verbindung zwischen Kreuzzeichen und dem Verb benedicere im Sinne von "loben/preisen", sei die Praxis erwähnt, dass sich der Priester während des Sanctus, in das die Präfation mündet, bei den Worten Benedictus qui venit in nomine Domini (Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn) mit dem Kreuz bezeichnete. Schon früh suchte man eine Rechtfertigung für diesen Brauch. So hat Johannes Beleth (+ 1182) den Sinn dieses Gestus mit der Tatsache erklärt, dass die Worte Gepriesen sei, der da kommt... aus dem Evangelium (Mt 21,9) stammen und damit zum Erlösungswerk des Herrn gehören. Beleth sieht hier auch eine Parallele zum Kreuzzeichen zu Beginn der Evangeliumsverkündigung (vgl. J. A. Jungmann, Missarum sollemmnia 2, Wien 1952, 173, Fn. 48).

Auf ähnliche Weise wurde das Kreuzzeichen zu Beginn des Canticums der Laudes Benedictus Dominus Deus Israel (Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels, Lk 1,68) eingeführt, auch wenn hier benedicere ebenfalls nicht im Sinne von segnen sondern von lobpreisen gebraucht wird. Einmal an dieser Stelle eingeführt, setzt sich der Brauch schnell auch bei den ersten Worten des Canticums der Vesper Magnificat anima mea Dominum (Meine Seele preist die Größe des Herrn, Lk 1,46) und der Komplet Nunc dimittis servum tuum, Domine (Nun lässt du, Herr, deinen Knecht, Lk 2,29) durch, obwohl hier das Verb benedicere nicht vorkommt (vgl. M. Righetti, Manuale di storia liturgica 1, Milano 1950, 372-373).

Anlässlich der Liturgiereform nach dem 2. Vatikanischen Konzil wurde die Frage nach dem Kreuzzeichen zu Beginn der Cantica eingehend studiert und geprüft. Schließlich entschied man sich, den Gestus wegen seiner langen Verwurzelung im Stungengebet auch in der erneuerten Liturgie zu belassen.

Unabhängig von seinem rituellen Kontext verweist uns das Kreuzeichen immer auch auf das Erlösungswerk Christi, der gegenwärtig ist in den gottesdienstlichen Feiern seiner Kirche, in seinem Wort, "[...] da er selbst spricht, wenn die heiligen Schriften in der Kirche gelesen werden" und "[...] wenn die Kirche betet und singt" (SC 7). Gottes Erlösungwerk wird gegenwärtig auch im Stundengebet der Kirche. In den Lobgesängen Benedictus, Magificat und Nunc dimittis drückt die Kirche Lob und Dank für dieses Erlösungswerk aus (vgl. Allgemeine Einführung in des Stundengebet 50), dass sich in unserer Zeit im Gebet der Kirche ereignet und fortsetzt.

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O
&quot;Als Beispiel für die bedeutungsmäßig problematische Verbindung zwischen Kreuzzeichen und dem Verb benedicere im Sinne von &quot;loben/preisen&quot;, sei die Praxis erwähnt, dass sich der Priester während des Sanctus, in das die Präfation mündet, bei den Worten Benedictus qui venit in nomine Domini (Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn) mit dem Kreuz bezeichnete.&quot;<br /> <br /> Gerade das Kreuzzeichen zeigt, dass das Sanctus aus zwei Teilen (Sanctus und Benedictus) besteht, die ja auch zwei alttestamentliche Bezüge haben.<br /> &quot;Die gebeugte Haltung des Priesters (supplici confessione dicentes: Präfationsschluss) ist Audruck tiefer Anbetung, wie sie den biblischen Beschreibungen der himmlischen Liturgie (vgl. Offb 4,8f; Jes 6,2) entspricht. Beim freudig-triumphalen Gesang des Benedictus richtet sich der Priester wieder auf und bekreuzigt sich, da Christus kommt, um das Kreuzesopfer auf dem Altar in sakramentaler Form zu erneuern und die Kirche in dieses Opfer mit aufzunehmen.&quot; (Michael Fiedrowicz, Die überlieferte Messe, Mülheim / Mosel 2001, 102)<br /> Dieses Gedanken von F. kann ich gut nachvollziehen.<br /> Nach dem Benedictus ist in den älteren Missalien vor dem Kanon stets eine Kreuzesdarstellung abgedruckt.<br /> Zu Beginn des Kanons wird die gebeugte Haltung des Sanctus aufgegriffen, in der Gestik (sogar noch stärkere Verneigung) und wörtlich (&quot;supplices rogamus ac petimus&quot;).<br /> Wir haben also im Übergang von Präfation, Sanctus und Kanon eine enge Verklammerung von Anbetung und Kreuzesthematik. Das Kreuzzeichen passt dort wunderbar hinein.<br /> <br /> Mir scheint die Erklärung zum Kreuzzeichen (mangelnde Kenntnis der lateinischen Sprache) zu einfach zu sein.<br /> Wie stand es wirklich um die Lateinkenntnis der Chormönche (also nicht der Brüder bzw. Konversen) im Mittelalter?<br /> Selbst bei geringen Lateinkenntnissen der Mönche gehe ich davon aus, dass sie genau wussten, was gesungen wird. Die Mönche kannten ja bspw. den Psalter so gut wie auswendig.<br /> Auch werden die Zeremonien im Chor genau festgelegt worden sein (so ist es ja noch heute). Ein Sich-Bekreuzigen bei gewissen Worten setzt also eine bewußte Änderung der Gebräuche in einem Kloster voraus. Kein Mönch konnte einfach so ein bestimmt Geste vollziehen.<br /> Vielleicht setzte ich aber auch eine zu disziplinierte Klosterlandschaft im MA voraus...
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