Ist der Advent eine Zeit der Buße?
Zum Folgenden vgl. vor allem P. Regan, Dall'avvento alla pentecoste, Bologna 2013, 35.
In der Adventszeit wird an den Sonntagen das Gloria nicht gesungen und in der Liturgie werden violette Paramente benutzt. Das Halleluja ist an den Werktagen erst im OLM von 1969 eingeführt worden. Der Verzicht auf die Einführung des Gloria, das bereits im 11. Jahrhundert ein Indikator für Feierlichkeit geworden war und als nicht kompatibel mit dem Bußcharakter erschien (s. z.B. Bernhold von Konstanz (1054-1100), Micrologus de ecclesiasticis observationibus, ed. J. de Pamele (PL 151), Paris 1853, 979C) und die violetten Paramente werden zuweilen als Zeichen der Buße gedeutet, auch wenn es hier wohl eher um liturgisch "hochwertigere" (und zwar nicht unbedingt im Sinne eines Bußcharakters) Tage geht, die die älteren Formen bewahrt haben.
Pius XII spricht in seiner Enzyklika Mediator Dei et hominum von 1947 über den Advent ausdrücklich als Zeit der Buße:
In der heiligen Adventszeit weckt sie [die Liturgie] in uns das Bewußtsein der Sünden, die wir leider begangen haben, ermahnt uns, durch Beherrschung der Triebe und durch freiwillige körperliche Buße uns in frommer Betrachtung zu sammeln und uns mit dem lebendigen Verlangen zu erfüllen, zu Gott zurückzukehren, der allein mit seiner Gnade uns von der Makel unserer Sünden und von den verhängnisvollen Übeln, die daraus entspringen, zu befreien vermag.
Diese Sichtweise ist - historisch gesehen - eher einer neueren Zeit zuzuordnen. Anfangs war der Advent in Rom und Ravenna ausschließlich eine liturgische Zeit ohne asketischen Charakter. Im 8. und 9. Jahrhundert, als die Liturgie der Stadt Rom sich nördlich der Alpen zu verbreiten begann, wo seit Jahrhunderten Fasten und Abstinenz zur Vorbereitung auf Weihnachten gehörten (in Spanien und Gallien war Weihnachten/Epiphanie auch ein wichtiger Tauftermin, vor dem sich - analog zu Ostern - eine 40-tägige Vorbereitungszeit entwickelt hatte), interpretierten die Menschen dort die Adventszeit in den ihnen bekannten Kategorien. Unter dem Einfluss der irischen Missionare stand gerade auch in Gallien die eschatologisch geprägte Erwartung im Vordergrund, die ebenfalls den Advent zur Buß- und Fastenzeit werden ließ (vgl. R. Berger, "Advent", in ders., Pastoraliturgisches Handlexikon, Freiburg-Basel-Wien ³2005, 6). Auch wenn dies keinen Einfluss auf die Messtexte hatte, führte die Herausstreichung des Bußcharakters im 12. Jahrhundert zum Gebrauch der violetten Paramente. Da sich die liturgisch "hochwertigeren" Tage länger Neuerungen widersetzen, wurde auch das Gloria nicht eingeführt. Die ambrosianische Liturgie in Mailand, die weitgehend unbeeinflusst von der römischen Papstliturgie geblieben ist, hat bis heute den sechswöchigen Advent (wie er auch in der Liturgie der römischen Titelkirchen bekannt war) bewahrt und feiert ihn in grüner Farbe.
Beim Zusammentreffen des Adventes der römischen Papstliturgie, der (bis auf wenige Ausnahmen) in seinen Messtexten weitestgehend eine Vorbereitung auf Weihnachten ist, mit den nordalpinen Bräuchen und Traditionen, vermischt sich der eschatologische Bußcharakter mit der römischen Weihnachtsvorbereitung und der Advent wird immer mehr zu einer Buß- und Vorbereitungszeit, allerdings nun vor allem im Hinblick auf das Weihnachtsfest.
Insgesamt bleibt festzuhalten, dass der Advent bis ins 13. Jahrhundert noch im Wachsen begriffen ist und damit zu den neueren Entwicklungen des liturgischen Jahres gehört. Die Zählung und Bezeichnung der Sonntage variiert in den verschiedenen Messbüchern. Das erste Messbuch, dass exakt die Terminologie für die Adventssonntage verwendet, wie wir sie aus dem Messbuch von 1962 und aus den drei Ausgaben des Messbuches von Paul VI. bis heute kennen, ist die authentische Ausgabe des Römischen Messbuchs, promulgiert von Clemens VIII im Jahr 1604.