Ist der Advent eine Zeit der Buße?

Veröffentlicht auf von Markus Tymister

Ist der Advent eine Zeit der Buße?

Zum Folgenden vgl. vor allem P. Regan, Dall'avvento alla pentecoste, Bologna 2013, 35.

In der Adventszeit wird an den Sonntagen das Gloria nicht gesungen und in der Liturgie werden violette Paramente benutzt. Das Halleluja ist an den Werktagen erst im OLM von 1969 eingeführt worden. Der Verzicht auf die Einführung des Gloria, das bereits im 11. Jahrhundert ein Indikator für Feierlichkeit geworden war und als nicht kompatibel mit dem Bußcharakter erschien (s. z.B. Bernhold von Konstanz (1054-1100), Micrologus de ecclesiasticis observationibus, ed. J. de Pamele (PL 151), Paris 1853, 979C) und die violetten Paramente werden zuweilen als Zeichen der Buße gedeutet, auch wenn es hier wohl eher um liturgisch "hochwertigere" (und zwar nicht unbedingt im Sinne eines Bußcharakters) Tage geht, die die älteren Formen bewahrt haben.

Pius XII spricht in seiner Enzyklika Mediator Dei et hominum von 1947 über den Advent ausdrücklich als Zeit der Buße:

In der heiligen Adventszeit weckt sie [die Liturgie] in uns das Bewußtsein der Sünden, die wir leider begangen haben, ermahnt uns, durch Beherrschung der Triebe und durch freiwillige körperliche Buße uns in frommer Betrachtung zu sammeln und uns mit dem lebendigen Verlangen zu erfüllen, zu Gott zurückzukehren, der allein mit seiner Gnade uns von der Makel unserer Sünden und von den verhängnisvollen Übeln, die daraus entspringen, zu befreien vermag.

Pius XII, Enzyklika Mediator Dei (20.11.1947)

Diese Sichtweise ist - historisch gesehen - eher einer neueren Zeit zuzuordnen. Anfangs war der Advent in Rom und Ravenna ausschließlich eine liturgische Zeit ohne asketischen Charakter. Im 8. und 9. Jahrhundert, als die Liturgie der Stadt Rom sich nördlich der Alpen zu verbreiten begann, wo seit Jahrhunderten Fasten und Abstinenz zur Vorbereitung auf Weihnachten gehörten (in Spanien und Gallien war Weihnachten/Epiphanie auch ein wichtiger Tauftermin, vor dem sich - analog zu Ostern - eine 40-tägige Vorbereitungszeit entwickelt hatte), interpretierten die Menschen dort die Adventszeit in den ihnen bekannten Kategorien. Unter dem Einfluss der irischen Missionare stand gerade auch in Gallien die eschatologisch geprägte Erwartung im Vordergrund, die ebenfalls den Advent zur Buß- und Fastenzeit werden ließ (vgl. R. Berger, "Advent", in ders., Pastoraliturgisches Handlexikon, Freiburg-Basel-Wien ³2005, 6). Auch wenn dies keinen Einfluss auf die Messtexte hatte, führte die Herausstreichung des Bußcharakters im 12. Jahrhundert zum Gebrauch der violetten Paramente. Da sich die liturgisch "hochwertigeren" Tage länger Neuerungen widersetzen, wurde auch das Gloria nicht eingeführt. Die ambrosianische Liturgie in Mailand, die weitgehend unbeeinflusst von der römischen Papstliturgie geblieben ist, hat bis heute den sechswöchigen Advent (wie er auch in der Liturgie der römischen Titelkirchen bekannt war) bewahrt und feiert ihn in grüner Farbe.

Beim Zusammentreffen des Adventes der römischen Papstliturgie, der (bis auf wenige Ausnahmen) in seinen Messtexten weitestgehend eine Vorbereitung auf Weihnachten ist, mit den nordalpinen Bräuchen und Traditionen, vermischt sich der eschatologische Bußcharakter mit der römischen Weihnachtsvorbereitung und der Advent wird immer mehr zu einer Buß- und Vorbereitungszeit, allerdings nun vor allem im Hinblick auf das Weihnachtsfest.

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass der Advent bis ins 13. Jahrhundert noch im Wachsen begriffen ist und damit zu den neueren Entwicklungen des liturgischen Jahres gehört. Die Zählung und Bezeichnung der Sonntage variiert in den verschiedenen Messbüchern. Das erste Messbuch, dass exakt die Terminologie für die Adventssonntage verwendet, wie wir sie aus dem Messbuch von 1962 und aus den drei Ausgaben des Messbuches von Paul VI. bis heute kennen, ist die authentische Ausgabe des Römischen Messbuchs, promulgiert von Clemens VIII im Jahr 1604.

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O
Zur Frage des Bußcharakters der Adventszeit könnte man neben der Messe auch das Stundengebet durchleuchten.<br /> Wahrscheinlich ist es komplexer und uneinheitlicher als die Entwicklung der Messe.<br /> Zumindest in den Brevieren des 20. Jhds. (vielleicht ab Pius X.? - die älteren Breviere kenne ich nicht) bis zur letzten Liturgiereform gibt es in den Laudes immer zwei Formulare (Laudes I und II). Die Laudes II, stets beginnend mit dem Psalm Miserere, werden (u. a.) in der Adventszeit,der Vorfasten- und Fastenzeit genommen. Hier ist deutlich der Bußcharakter der Adventszeit zu sehen.<br /> Aber das ist ja noch keine lange Tradition!
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M
Stimmt. Post entsprechend geändert. Die Frage ist in der Liturgiegeschichte andersherum zu stellen. Es ist wahrscheinlich nicht nach einem Wegfall des Halleluja zu suchen, sondern vielmehr nach den Gründen, warum es an gewissen Tagen später, bzw. nie eingeführt wurde. Da es sich beim Halleluja um ein neueres Element handelt, das nach den Gesetzen der &quot;liturgie comparée&quot; ältere Elemente verdrängt, sind es die liturgisch stärkeren, bzw. hochwertigeren Tage, an denen die älteren Formen erhalten bleiben.<br /> Zum Halleluja vgl. R. Tichy, &quot;Liturgie de la Parole en Occident. Liturgie comparée pour analyser la structure de l’avant-messe romaine, ambrosienne, hispano-mozarabe et gallicane&quot;, Rom 2013, 49: &quot;Les lois de la liturgie comparée nous autorisent à croire, que ce sont les jours sacrés de jeûne, qui ont conservé le chant plus ancien, tandis que l’alléluia, un élément nouveau l’a remplacé dans le reste de l’année liturgique dans un moment donné. (Dans le Missel romain de 1570, outre carême, l’alléluia avant l’Évangile manque aux veilles de Pâque, Pentecôte et quatre-temps et aux messes des défunts.)&quot;
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O
Liturgie und liturgische Zeremonien zu spiritualisieren ist ja ein bekannter Vorgang.<br /> Auch viele Zeremonien der Messe haben zugleich eine &quot;praktische&quot; und eine &quot;fromme&quot; Bedeutung, bspw. die Beimischung von Wasser im Offertorium oder die Anhebung der Casel durch einen Minister bei der Konsekration (usus antiquor).<br /> Die gesamte mittelalterliche Meßallegorie lebt ja von dieser Vielschichtigkeit.
M
Genau. Die Quatembertage gehören zu den älteren Elementen und sind durch ihren Bußcharakter geprägt, daher widersetzen sie sich nach dem von Anton Baumstark (&quot;Liturgie comparée, hg. B. Botte, Chevetogne-Paris ³1953, 27-30) aufgestellten &quot;Gesetz&quot; der &quot;hochwertigen Zeit&quot; der Einführung von Neuerungen. In Hesberts &quot;Antiphonale missarum sextuplex&quot; ist klar belegt, dass sie nie ein Halleluja bekommen haben. Noch komplexer ist die Geschichte des Gloria; aber auch hier lässt sich nachweisen, dass die Bußtage der Quadragese (auch die Sonntage) schlichtweg die ältere Tradition bewahren und sich der Einführung des neueren Elementes (hier des Gloria) widersetzen. Schwieriger ist die Ausgangslage für die Adventssonntage, da sich die Ursprünge des Advents in Spanien und Gallien befinden und in Rom erst in der Mitte des 6. Jh. nachweisbar sind. Es ist anzunehmen, dass auch die Adventssonntage, nachdem sich der Advent einmal als besondere Zeit herausgebildet hatte, sich der Einführung des Gloria widersetzt haben. Das Fehlen von Gloria und Halleluja wird oft als Bußelement bedeutet, aber es sind eher oft die Tage mit einem besonderen Charakter (das kann auch der Bußcharakter sein, ist aber nicht darauf beschränkt), die ältere Formen vor der Einführung von neuen Elementen bewahren.
O
... bin mir doch unsicher geworden, was das Halluluja an den grünen Ferialtagen betrifft (MR 1962). Diese Messen werden im liturgischen Leben eher selten genommen, da man meistens (öfters) eine Votivmesse vorzieht.<br /> Habe nun nachgeschlagen: &quot;Sic dicitur Alleluia cum suo versu post graduale in omnibus dominicis post Pentecosten, etiam si Missa dominicae in feriis adhibetur.&quot; (s. MR 1962, Dominica secunda post Pentecosten, Rubrikanweisung nach dem Graduale).<br /> In den grünen Ferialmessen entfällt lediglich das Gloria und Credo des Sonntags, zudem wird statt der sonntäglichen Dreifaltigkeitspräfation die sog. gewöhnliche Pr. genommen.<br /> Zu den älteren Elementen der röm. Liturgie gehören m. W. auch die Quatembertage. Hier kann man feststellen (MR 1962), dass bis auf die Pfingstquatember alle anderen drei Quatemberzeiten kein Halleluja haben, auch nicht die Quatembertage in der &quot;grünen Zeit&quot; im Herbst. Vielleicht kann man auch daran sehen, dass das Halluja nicht zum alten Bestand der röm. Liturgie gehört. Das Halluja an den Quatembertagen zu Pfingsten ist ja durch die Osterzeit erklärbar.<br /> Es macht Sinn, eher zu fragen, warum es das Halluja gibt, nicht warum es entfällt...
O
Der Wegfall des Halleluja an den Werktagen des Advents nach dem Missale von 1962 (und den älteren Ausgaben) hängt nicht mit dem Bußcharakter des Advents zusammen.<br /> Auch an den &quot;grünen&quot; Ferialtagen, an denen die vorhergehende Sonntagsmesse (Sonntage nach Pfingsten) genommen wird (das Meßbuch von 1962 kennt ja keine extra Meßformulare für die &quot;grünen&quot; Werktage), entfällt das Halleluja samt Vers.
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