Liturgischer Archäologismus bei der Eröffnung des 2. Vatikanischen Konzils?

Veröffentlicht auf von Markus Tymister

Liturgischer Archäologismus bei der Eröffnung des 2. Vatikanischen Konzils?

Der Kontrast zwischen der Liturgischen Bewegung und der konkreten liturgischen Praxis wurde in besonderer Weise bei den Feierlichkeiten zur Eröffnung des 2. Vatikanischen Konzils am 11. Oktober 1962 deutlich. Die viele Stunden dauernden Riten wurden damals von Bischöfen wie auch von Theologen scharf kritisiert. Es fehlten die innere Einheit und die erkennbare Struktur, sinnlose Wiederholungen und Doppelungen einhergehend mit einer fehlenden Teilnahme der Anwesenden machten sehr augenscheinlich deutlich, wie sehr die Liturgie einer Reform bedurfte.

Die Eröffnungszeremonie hatte folgenden Ablauf (zum Folgenden vgl. P. Marini, «Il Concilio Vaticano II. L'apertura, il pensiero di Giovanni XXIII, le finalità della riforma liturgica», Ecclesia Orans 30 (2013) 61-63):

  • Anbetung des Allerheiligsten Sakramentes in der Capella Paolina des Apostolischen Palastes und Gesang der ersten Strofe des Ave Maris Stella
  • Prozession der Konzilsväter, die über den Petersplatz in die Basilika einzogen, mit einer zeitlichen Ausdehnung von über 45 Minuten
  • Verschiedene Gesänge der Capella Sistina und des Chores des Pontificio Seminario Romano Maggiore während der Prozession
  • Gesang des Veni creator, angestimmt durch den Papst
  • Feierliche Messe, zelebriert von Card. Tisserant am Konzilsaltar
  • Inthronisation des Evangeliars auf dem Altar, im Anschluss an die Messe
  • Feierliches Glaubensbekenntnis, abgelegt zuerst vom Papst und dann vom Generalsekretär des Konzils "im Namen der ganzen Versammlung" und Vereidigung der Konzilsväter
  • Allerheiligenlitanei und verschiedene Gebete
  • Eröffnungsrede des Papstes
  • Bekanntgabe der Tagesordnung

Aus der Chronik wird deutlich, wie die Feier der Messe nur als ein Einschub im feierlichen Rahmen der Eröffnungsriten gesehen wurde und es braucht schon einiges an Vorstellungskranft, um zu erkennen, dass Einzugsprozession, Intronisierung des Evangeliars, Predigt und Glaubensbekenntnis eigentlich Teile der Messfeier sind. Auch ist nicht klar, warum das Glaubensbekenntnis nicht nur außerhalb der Messe sondern auch zuerst vom Papst und dann vom Sekretär "im Namen der Versammlung" abgelegt wurde, wo doch alle anwesenden Bischöfe gemeinsam mit dem Bischof von Rom ihren Glauben hätten bekennen können, ohne hierfür jemanden zu benötigen, der in ihrem Namen spricht.

Der Theologe Ives Congar OP, der als Experte am Konzil teilnahm und 1995 von Johannes Paul II. zum Kardinal erhoben wurde, notiert in seinem Konzilstagebuch:

11. Oktober [1962...]
Die Liturgische Bewegung ist in der römischen Kurie nicht angekommen. Diese riesige Versammlung sagt nichts, singt nichts. Man sagt, die Juden seinen das Volk des Ohres und die Griechen dasjenige des Auges. Aber hier merkt man nur das Auge und das musikalische Ohr: keine Wortliturgie. Kein geistliches Wort. Ich weiß dass jetzt eine Bibel inthronisiert wird, um dem Konzil vorzustehen. ABER WIRD SIE SPRECHEN? Wird sie gehört werden? Wird es Zeit für das Wort Gottes geben? (Ives Congar, Diario del Concilio, Bd. 1, Cinisello Balsamo 2005, 146-147, eigene Übersetzung.)

Von liturgischem Archäologismus spricht Joseph Ratzinger, der ebenfalls als theologischer Experte anwesend war:

Es fehlte dieser Eröffnungszeremonie ein integratives Element und eine innere Einheit. Sollte es normal sein, dass über 2500 Bischöfe, ganz zu schweigen von den anderen Gläubigen, zu stummen Zuschauern einer Liturgie verurteilt waren, in der - außer den offiziellen Zelebranten - nur die zur Capella Sistina gehörenden Chöre ihre Stimme hören ließen? War die Tatsache, dass die tätige Teilnahme nicht gefördert wurde, nicht doch Zeichen des Triumphes einer Situation, die verändert werden musste? [...]
Zwei Liturgien waren nebeneinander gestellt worden, ohne sie miteinander in Bezug zu bringen. Auf diese Weise wurde der gefährliche Archäologismus deutlich, in dem die Liturgie seit dem Konzil von Trient gefangen war; ein Archäologismus, der dafür sorgte dass man den Sinn der verschiedenen Teile der Messe kaum noch verstand und der nicht mehr erfahren ließ, dass Inthronisation des Evangeliums, Glaubensbekenntnis und fürbittendes Gebet zur Messe gehören [...]. (J. Ratzinger, Mon Concile Vatican II. Enjeux et perspectives, Perpignan 2011, 55-57, eigene Übersetzung. Es handelt sich hierbei um die 2011 authorisierte Veröffentlichung einer Reihe von Vorträgen Ratzingers, die er als junger Theologe, noch während der Debatten, über die großen Themen des Konzils hielt.)

Eine Vorstellung vom musealen Charakter der damaligen Papstliturgie vermittelt auch der Bericht von Virgilio Noè, dem späteren Zeremoniar Pauls VI. und Sekretär der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung:

Die Riten dauerten drei bis vier Stunden und waren durchwirkt von Heiligem, aber auch wurmstichtig von für jeden fürstlichen Hof typischen Frivolitäten; es gab Zeichen, die für den größten Teil der Anwesenden bedeutungslos waren. Die Begleitung des Papstes setzte sich zusammen [...] aus einer Mauer von Geistlichen und Laien, die in Gewändern im Stil der Renaissance und des Barock einen bunten Rahmen bildeten, bestehend aus Seide, Hermelin, unterschiedlichsten Mänteln, Rochetts mit wertvoller Spitze, die eher für Frauen gedacht schienen als für Geistliche. (V. Noè, «Paulo VI: uno stile liturgico» Notitae 24 (1988) 787, eigene Übersetzung.)

Die Eröffnungsriten hatten so noch einmal ein gewisses, wie damals von Prof. Ratzinger ausgedrückt, 'Unbehagen' herausgestellt: auf der einen Seite die Prinzipien und anfänglichen Umsetzungen der Liturgischen Bewegung und auf der anderen Seite der Apparat der päpstlichen Liturgie als deutlicher Ausdruck eines höfischen Aspektes, in dem die tridentinische Liturgie gefangen war (vgl. P. Marini, «Il Concilio Vaticano II», 63).

Auf diesem Hintergrund trafen die Kozilsväter dann im Vorwort der am 4. Dezember 1963 feierlich verabschiedten Liturgiekonstitution folgende Aussage:

Das Heilige Konzil hat sich zum Ziel gesetzt, das christliche Leben unter den Gläubigen mehr und mehr zu vertiefen, die dem Wechsel unterworfenen Einrichtungen den Notwendigkeiten unseres Zeitalters besser anzupassen, zu fördern, was immer zur Einheit aller, die an Christus glauben, beitragen kann, und zu stärken, was immer helfen kann, alle in den Schoß der Kirche zu rufen. Darum hält es das Konzil auch in besonderer Weise für seine Aufgabe, sich um Erneuerung und Pflege der Liturgie zu sorgen.

2. Vatikanisches Konzil, Konstitution über die Hl. Liturgie "Sacrosanctum Concilium" (4. Dezember 1963), Art. 1

Vier Hauptaufgaben sieht also das Konzil:

  1. Vertiefung des Lebens der Gläubigen
  2. Anpassung der kirchlichen Einrichtungen an die Erforderungen der heutigen Zeit
  3. Förderung der Einheit aller, die an Christus glauben (Ökumene)
  4. Den Ruf aller in zur Kirche (Mission)

Um all das zu erreichen "[...] hält es das Konzil auch in besonderer Weise für seine Aufgabe, sich um Erneuerung und Pflege der Liturgie zu sorgen."

P. Marini («Il Concilio Vaticano II», 64, eigene Übersetzung) schreibt dazu: Mit anderen Worten, für das Konzil sind Erneuerung der Kirche, Ökumene und missionarisches Handeln eng miteinander verbunden und hängen von der Art und Weise ab, wie die Kirche die Liturgie feiert und lebt.

Veröffentlicht in Liturgiereform, Konzil

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