Zur Zentralität der einen Sonntagsmesse

Veröffentlicht auf von Markus Tymister

Zur Zentralität der einen Sonntagsmesse

Zur Bedeutung der bischöflichen Kapitularien des 8. bis 10. Jahrhunderts im allgemeinen und zum 1. Kapitular des Theodulf v. Orleans s. Beitrag vom 25. November 2013.

An der Schwelle vom 8. zum 9. Jahrhundert ermahnt Bischof Theodulf im letzten Kapitel seines ersten Kapitulars die Einwohner der Stadt und der umliegenden Gebiete auschließlich zu einer einzigen Sonntagsmesse zusammenzukommen:

Admonendus est populus, ut ante publicum peractum officium ad cibum non accedat, et omnes ad publicam sanctam matrem ecclesiam missarum sollemnia et praedicationem audituri conveniant, et sacerdotes per oratoria nequaquam missas nisi tam caute ante secundam horam celebrent, ut populus a publicis sollemnibus non abstrahatur. Sed sive sacerdotes, qui in circuitu urbis aut in eadem urbe sunt, sive populus, ut praediximus, in unum ad publicam missarum celebrationem conveniant exceptis deo sacratis feminis, quibus mos est ad publicum non egredi, sed claustris monasterii contineri.

Theodulf v. Orleans, 1. Kapitular XLV, in Capitula episcoporum I, hg. P. Brommer (MGH), Hannover 1984, 141-142

Das Volk soll ermahnt werden, vor Vollendung der öffentlichen liturgischen Feiern nichts zu essen. Alle sollen zusammenkommen, um die öffentliche Messfeier der heiligen Mutter Kirche und die Predigt zu hören. Die Priester sollen in den Oratorien grundsätzlich keine anderen Messen feiern, und wenn dies notwendig ist nur sehr vorsichtig vor der 2. Stunde, damit das Volk nicht von der öffentlichen Feier der Messe abhehalten wird. Sondern alle Priester, die im Umland oder in der Stadt selber leben, und auch das ganze Volk sollen, wie oben gesagt, zu der einen öffentlichen Messfeier zusammenkommen; mit Ausnahme der Gott geweihten Frauen, die gewöhnlich nicht in die Öffentlichkeit gehen, sondern in der Abgeschiedenheit ihrer Klöster bleiben.

Die sonntägliche Hauptmesse einer Stadt hatte, so Theodulf, zur "kanonischen Zeit, also zur dritten Stunde" (9 Uhr) stattzufinden; die Verpflichtung, an ihr teilzunehmen, betrifft sowohl den Klerus als auch das Volk. Gleichzeitig verbietet Theodulf sog. Privatmessen (s. Kapitel 7 seines 1. Kapitulars und Post vom 25.11.13). In Ausnahmefällen durften Priester gesonderte Messen feiern, besonders wenn es sich um Messfeiern für Verstorbene handelte, an denen aber eine wenigstens kleine Gemeinschaft teilnehmen musste. Diese Messfeiern haben vor der "zweiten Stunde", also vor 8 Uhr stattzufinden, um den Teilnehmern (und den Priestern!) anschließend die Teilnahme an der Hauptmesse zu ermöglichen. Selbstverständlich empfingen in dieser Messe alle die Kommunion unter beiderlei gestalten. An den Sonntagen der Quadragese, an Gründonnerstag, an Ostern und an den Tagen der Osteroktav war die Kommunion (immer unter beiderlei Gestalten) für alle, die nicht unter der Bußauflage der Exkommunikation standen, sogar verpflichtend:

 

Singulis diebus dominicis in quadragesima praeter hos, qui excommunicati sunt, sacramenta corporis et sanguinis Christi sumenda sunt. Et in cena domini, vigilia paschae et in die resurrectionis domini penitus ab omnibus communicandum est. Et ipsi dies paschalis ebdomadae omnes aequali religione colendi sunt.

Theodulf v. Orleans, 1. Kapitular XLI, in Capitula episcoporum I, ed. P. Brommer (MGH), Hannover 1984, 138-139

Selbstverständlich wird anlässlich dieses sonntäglichen Hauptgottesdienstes auch gepredigt. Die Predigt ist nach dem Willen Theodulfs vor allem Instruktion über die Hauptinhalte des Glaubens.

Am Beginn des 8. Jahrhunderts steht die Kirche von Orleans noch ganz in der Tradition der frühen Christenheit und des römischen Stadtchristentums: alle Bewohner einer Stadt versammeln sich sonntags zum Gottesdienst um den einen Altar und möglichst unter dem Vorsitz des einen Bischofs.

Natürlich waren damals die Städte nicht so groß wie unsere Städte heutzutage und es gab noch keine Notwendigkeit, sie wegen der Weite der Wege oder der Menge an Christen in mehrere "Pfarreien" oder "Gemeinden" aufzuteilen. Einheit ist das Prinzip, um das es geht und heute ist jede Pfarrgemeinde eingeladen, dieses urchristliche Prinzip wieder zu entdecken. Zumindest die Mitglieder einer Gemeinde feiern sonntags zusammen die eine Eucharistie: die Alten mit den Jungen, die Kranken mit den Gesunden und die Wohlhabenden teilen mit den Armen.

Nach dem Prinzip der Einheit, das uns Theodulf im 8. Jahrhundert so anschaulich vor Augen stellt, geht es nicht darum, dass jeder Christ zu einer ihm genehmen Zeit ihrendwo "seine Messe" bekommt, sondern dass die eine liturgische Versammlung das eine und geeinte Volk Gottes darstellt. Das betrifft die Laien genauso wie die Presbyter, die eben nicht für irgendwelche Grüppchen, die einen besonderen liturgischen Geschmack haben, einen besonderen Ritus bevorzugen, Kinder in der Messe als störend empfinden, denen die Uhrzeit nicht genehm ist usw, eine "Extra-Messe" feiern dürfen, sondern auch an der einen Eucharistiefeier auf die ihnen eigene Weise und an ihrem Platz teilnehmen. Wir sind in Mitteleuropa am Beginn des 3. Jahrtausends tatsächlich geprägt von Jahrhunderten einer individualisierten Eucharistiespiritualität, in der es nur darauf ankam, irgengendwie und irgendwo ein persönliches Sonntagsgebot zu erfüllen, das auf das Hören der Messe (Kommunion nicht inbegriffen) reduziert war. Richtig verstanden aber gründet das Sonntagsgebot in der Verpflichtung des Christen, am Aufbau des Lebens des Volkes Gottes mitzuwirken, das in einer konkreten Gemeinde oder/und Gemeinschaft Gestalt annimmt. Was zu Theodulfs Zeiten die eine Messe der gesamten Stadt war, kann heute durchaus die eine Sonntaseucharistie einer bestimmten Gemeinde oder Gemeinschaft sein, die in ihrer gemeinsamen Feier den einen Leib Christi, der die Kirche ist, darstellt. Für mehrere hintereinander gefeierte Sonntagsmessen in ein und der selben Kirche, während derer diese Kirche nur zur Hälfte gefüllt ist, hätten die Bischöfe zur Zeit Theodulfs mit Sicherheit kein Verständnis gehabt. Im Gegenteil, Theodulf bezeichnet es als einen schlechten Brauch, wenn einige Christen früh am morgen schnell eine Messe hören, um dann den ganzen Sonntag anderen Beschäftigungen nachzugehen, die nicht dem Ideal der Sonntagsheiligung entsprechen:

[...] quia pessimus usus est apud quosdam: Qui in diebus dominicis sive in quibuslibet festivitatibus, mox missam celebrare - etiam pro defunctis sit - audierit, abscedit et per totum diem a primo mane ebrietati et comessationi potius quam deo deservit.

Theodulf v. Orleans, 1. Kapitular XLV, in Capitula episcoporum I, ed. P. Brommer (MGH), Hannover 1984, 141

Es ist heute nicht notwendig, mittelalterlichen Vorstellungen von Sonntagsheiligung das Wort zu reden, aber die grundlegenden Prinzipien einer solchen Sonntagsheiligung im dargestellten Gemeindeverständnis können uns in unserer Zeit wichtige Hinweise bei der Konzeption unserer größer werdenden pastoralen Einheiten geben: es geht eben nicht darum, mit weniger Priestern, die selbe "pastorale Versorgung" aufrecht zu erhalten, sondern unsere Anstrengungen müssen, gerade wenn es um Gestaltung von Gottesdienstordnung o.ä. geht, dahin gehen, die Bedeutung der einen Eucharistie einer Gemeinde oder zumindest der einen gottesdienstlichen Versammlung am Sonntag, wenn die Eucharistiefeier nicht möglich ist, zu unterstreichen. Und diese eine gottesdienstliche Versammlung ist nicht "Versorgung mit Gottesdienst zu einer dem einzelnen oder einer Gruppe passenden Zeit" sondern verantwortliches Handeln aller Mitglieder aus dem Bewusstsein heraus, dass eine Gemeinschaft, die sich nicht regelmäßig (zum Gottesdienst) versammelt, letztendlich auf ihr Aussterben hinsteuert. Für uns Christen hat sich hierbei die Versammlung im wöchentlichen Rhythmus als notwendig herausgestellt. Diese Versammlungen müssen so regelmäßig und voraussehbar stattfinden, dass alle, die sich einer bestimmten konkreten Gemeinde zugehörig fühlen, allsonntäglich daran teilnehmen können.