Was ist Liturgie?

Veröffentlicht auf von Markus Tymister

Was ist Liturgie?

Während seit dem Mittelalter und vor dem 2. Vatikanischen Konzil hauptsächlich die kultische Dimension der Liturgie im Vordergrund stand (der Mensch bringt in der Feier der Liturgie durch den Priester Gott den geschuldeten Kult dar), so wird seit dem Konzil auch die absteigende Dimension der Liturgie wieder neu betont und gleichzeitig das Volk Gottes als Sekundärsubjekt der Liturgie wieder aufgewertet.

Wenn wir von den in SC 7 genannten Elementen zur Definition von Liturgie ausgehen, so gilt „[…] die Liturgie als Vollzug des Priesteramtes Jesu Christi; durch sinnenfällige Zeichen wird in ihr die Heiligung des Menschen bezeichnet und in je eigener Weise bewirkt und vom mystischen Leib Jesu Christi, d. h. dem Haupt und den Gliedern, der gesamte öffentliche Kult vollzogen. Infolgedessen ist jede liturgische Feier als Werk Christi, des Priesters, und seines Leibes, der die Kirche ist, in vorzüglichem Sinn heilige Handlung […].“

Neben der Tatsache des primären Handelns Gottes zum Heil der Menschen, das in der Liturgie gefeiert wird,[1] ist jede liturgische Feier Werk Christi, des Priesters, und seines Leibes, der Kirche. Der gesamte mystische Leib Christi muss also – im Idealfall – in der Feier der Liturgie abgebildet werden. Der Priester repräsentiert[2] daher für die Gemeinde den unsichtbar anwesenden Christus (das Primärsubjekt der Liturgie), als das Haupt dieses Leibes, während die Feierversammlung (das Sekundärsubjekt der Liturgie) im Gegenzug den mystischen Leib Christi repräsentiert, auch in ihrem Gegenüber zum Haupt. Man kann also sagen, wenn man in diesem nicht unumstrittenen westlichen theologischen Sprachgebrauch[3] bleiben will, der Priester steht in persona Christi capitis mit der Gemeinde vor Gott und die Gemeinde steht in persona Christi corporis zusammen mit ihrem Priester vor Gott, wobei Gott immer der zuerst Handelnde in der Liturgie bleibt und die Gemeinde auf das Handeln Gottes antwortet.

Auch das deutsche Wort Gottesdienst in seiner doppelten Bedeutung macht die aufsteigende und die absteigende Richtung der Liturgie deutlich: Liturgie ist unser Dienst vor Gott und gleichzeitig Gottes Dienst (der Heiligung) an uns. Durch Christus im Hl. Geist wendet sich die Gemeinde an Gott den Vater und vom Vater ausgehend durch Christus im Hl. Geist geschieht die Heiligung des Menschen. Aufsteigende (anabatische) und absteigende (katabatische) Dimension der Liturgie sind nicht voneinander zu trennen sondern geschehen immer gleichzeitig.

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[1] Das primäre Handeln Gottes als Voraussetzung für die Liturgie wird deutlich im Tagesgebet der Messe des 31. Sonntags im Jahreskreis: „Allmächtiger, barmherziger Gott, es ist deine Gabe und dein Werk, wenn das gläubige Volk dir würdig und aufrichtig dient […]“ (Die Feier der Heiligen Messe. Messbuch. Für die Bistümer des deutschen Sprachgebietes, Authentische Ausgabe für den liturgischen Gebrauch, Herder, Freiburg i. Br. 21988, 244). Vgl. R. Malcherek, «Werk Christi, des Priesters, und seines Leibes, der die Kirche ist (SC 7)», in Protokolle zur Liturgie. Veröffentlichungen der Liturgiewissenschaftlichen Gesellschaft Klosterneuburg 2, hg. R. Pacik – A. Redtenbacher, Echter, Würzburg 2008, 11-15.

[2] Repräsentieren soll hier nicht bedeuten, stellvertretend für einen Abwesenden zu handeln, sondern es geht um die sichtbare Darstellung eines unsichtbar Anwesenden und Handelnden, im Sinne einer Ikone.

[3] Die Rede von dem die Eucharistie zelebrierenden Priester, der in persona Christi handelt, ist bezeichnend für die lateinische katholische Eucharistietheologie seit dem 12. Jh. Zur gesamten Problematik vgl. R. Taft, «Eucharistic Concelebration Revisited: Problems of History, Practice, and Theology in East and West», Orientalia Christiana Periodica 76 (2010) 278, bes. die Literaturhinweise in Fußnote 2 auf Seite 278.

7. Um dieses große Werk voll zu verwirklichen, ist Christus seiner Kirche immerdar gegenwärtig, besonders in den liturgischen Handlungen. Gegenwärtig ist er im Opfer der Messe sowohl in der Person dessen, der den priesterlichen Dienst vollzieht – denn „derselbe bringt das Opfer jetzt dar durch den Dienst der Priester, der sich einst am Kreuz selbst dargebracht hat“ –, wie vor allem unter den eucharistischen Gestalten. Gegenwärtig ist er mit seiner Kraft in den Sakramenten, so dass, wenn immer einer tauft, Christus selber tauft . Gegenwärtig ist er in seinem Wort, da er selbst spricht, wenn die heiligen Schriften in der Kirche gelesen werden. Gegenwärtig ist er schließlich, wenn die Kirche betet und singt, er, der versprochen hat: „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,20). In der Tat gesellt sich Christus in diesem großen Werk, in dem Gott vollkommen verherrlicht und die Menschheit geheiligt werden, immer wieder die Kirche zu, seine geliebte Braut. Sie ruft ihren Herrn an, und durch ihn huldigt sie dem ewigen Vater. Mit Recht gilt also die Liturgie als Vollzug des Priesteramtes Jesu Christi; durch sinnenfällige Zeichen wird in ihr die Heiligung des Menschen bezeichnet und in je eigener Weise bewirkt und vom mystischen Leib Jesu Christi, d. h. dem Haupt und den Gliedern, der gesamte öffentliche Kult vollzogen. Infolgedessen ist jede liturgische Feier als Werk Christi, des Priesters, und seines Leibes, der die Kirche ist, in vorzüglichem Sinn heilige Handlung, deren Wirksamkeit kein anderes Tun der Kirche an Rang und Maß erreicht.

2. Vatikanisches Konzil: Konstitution über die Hl. Liturgie, Art. 7

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