Wer entscheidet über Anlass und Zeit der Messfeier?

Veröffentlicht auf von Markus Tymister

(Trogir, Kroatien: Kathedrale)
(Trogir, Kroatien: Kathedrale)

Anlässlich der vielerorts beginnenden Überlegungen zur Zusammenführung von Gemeinden zu Pfarrverbünden oder pastoralen Räumen kommen auch die oft althergebrachten Gottesdienstordnungen neu auf den Prüfstand, und es stellt sich die Frage, wie die möglichen Messfeiern gerecht und sinnvoll verteilt werden sollen. In Zukunft werden wohl viele Menschen auf die ihnen gewohnte Messzeit verzichten müssen, und drohend schwebt über den Ausschüssen und Kommissionen, die sich mit der Frage außeinandersetzen , die Aussage: Wenn diese oder jene Messe ausfällt, dann kommen die Leute gar nicht mehr in die Kirche. Von anderer Seite wird über die "Sinus-Studie" und ähnliche soziologische Untersuchungen der Anspruch an die Verantwortlichen herangetragen, nicht nur in Gottesdienstgestaltung sondern auch hinsichtlich des zeitlichen Ansatzes zunehmend mehr soziologischen als theologischen Anforderungen gerecht werden zu müssen.

Wie stellt sich aber nun die Frage nach Zeit und Anlass der Messfeier liturgiegeschichtlich dar? Zunächst einmal bleibt festzuhalten, dass die Häufigkeit der Eucharistiefeier und deren Zeit nicht in das Belieben der Gemeinde oder des einzelnen Kirchenbesuchers gestellt ist und schon gar nicht in das Belieben des einzelnen Priesters. Große Teile unserer Kirche sind noch geprägt von Jahrhunderten einer individualisierten Eucharistiefrömmigkeit, in denen sich seit der karolingischen Liturgiereform gegen Ende des ersten Jahrtausends eine veränderte Auffassung von der Eucharistiefeier selbst durchgesetzt hatte. Wohl als Folge der Einführung der stadtrömischen Liturgie im fränkischen und gallischen Bereich wurde die Messfeier "[...] mehr als opus sacrum gesehen, das der Priester als Amtsträger und offizieller Stellvertreter auch allein feiern könne, [...] 'vorausgesetzt, daß das Wesentlichste erfüllt werde'. Und selbst wenn die Gemeinschaft anwesend sei, komme es doch vor allem auf die innere fromme Einstellung des Priesters an" (B. Luykx, «Der Ursprung der gleichbleibenden Teile der Heiligen Messe», Liturgie und Mönchtum 29 (1961) 85). Diese Einstellung machte den Weg frei zur Privatmesse, die in der Folgezeit sogar die Überhand gewann. (Noch im 9. Jahrhundert sieht Bischof Theodulf von Orleans - 1. Kap. VII - sich genötigt, die Privatmesse ausdrücklich zu verbieten; ein Beweis, dass gewisse Priester seines Bistums schon dazu übergegangen waren.) Seitens der Gläubigen stand nicht mehr die Versammlung zur Eucharistie im Vordergrund, sondern die Verpflichtung zum Hören der Messe am Sonntag; eine Verpflichtung, der man bald auch durch den Messbesuch in irgendeiner Kirche zu einer einem persönlich passenden Zeit nachkommen konnte. Unsere Gemeinden sind vielerorts noch Zeugen einer solchen Mentalität: Die Kirche "bietet Messen an" und die Gläubigen wählen frei aus einem reichen Angebot dasjenige aus, das den momentanen Interessen und der augenblicklichen Stimmungslage am besten gerecht wird und sich am besten mit den anderen zeitlichen Verpflichtungen des Wochenendes vereinbaren lässt.

Auch wenn die Problematik der Messhäufigkeit noch wenig reflektiert ist (grundlegend ist hier: A. A. Häussling, Mönchskonvent und Eucharistiefeier. Eine Studie über die Messe in der abendländischen Klosterliturgie des frühen Mittelalters und zur Geschichte der Meßhäufigkeit (LQF 58), Aschendorff, Münster 1973), lässt sich festhalten, dass es wohl zwei Arten von Anlässen zur Messfeier gibt, denen jeweils eine unterschiedliche Form der Eucharistiefeier entspricht (vgl. R. Meßner, Einführung in die Liturgiewissenschaft, Schönigh, Paderborn 2001, 174-176).

Der ursprüngliche und erste Anlass zur Feier der Eucharistie ist der Sonntag, der eben durch diese Feier zum besonderen Tag, zum Tag des Herrn wird. Er hebt sich dadurch aus der Zählung der Wochentage ab; er ist nicht mehr einfach ein Tag in der Woche, sondern der achte Tag: der Tag, der die Woche transzendiert und auf die Vollendung in Gott verweist. In der Feier der Eucharistie tritt die christliche Kirche symbolisch in die Vollendung der Geschichte ein. Der "dritte Tag" nach dem Karfreitag, der Ostersonntag ist der Tag, an dem von den ersten Erscheinungen des Auferstandenen berichtet wird. Dadurch wird er zum Tag der Begegnung mit dem Herrn. Diese Begegnung mit dem Auferstandenen setzt sich für die Christen in der sowohl in der jährlichen Osterfeier als auch in der wöchentlichen Feier des Sonntag fort. Bis zur endgültigen Wiederkehr Christi ist der Sonntag der Tag der Begegnung mit Christus: "für die Osterzeugen durch ihre besondere Vision, für alle weiteren Glaubenden durch die realsymbolische Begengnung in der eucharistischen Mahlfeier" (Messner, Einführung, 175) und in der Verkündigung des Evangeliums.

Diesem Anlass entspricht die Form der Eucharistiefeier. Es ist nicht der einzelne Christ, der gewissermaßen privat seinem Christus begegnet und mit ihm Zwiesprache hält, sondern es ist Christus, der die gesamte Kirche in die Versammlung mit ihm ruft. Symbolisch und proleptisch erfährt die feiernde Kirche, die sich in der Ortsgemeinde manifestiert, den Ruf Christi in das Reich des Vaters; ein Ruf der mit der Sammlung der gesamten Menschheit zu tun hat. Daher ist die sonntägliche Eucharistiefeier die Versammlung - zumindest intentional - der gesamten Ortsgemeinde und nicht nur einer bestimmten Gruppe. Ist eine sonntägliche Messfeier von vornherein auf eine bestimmte Gruppierung ausgerichtet, widerspricht sie ihrem eigenen Sinn. Eine zweite sonntägliche Eucharistiefeier ist auf diesem Hintergrund auch nur dann wirklich sinnvoll, wenn die Teilnahme der Ortsgemeinde an einer einzigen Feier nicht möglich ist. Letztlich stellt sich aber hier die Frage, ob dann nicht die Ortsgemeinde zu groß gefasst ist, wenn sie nicht einmal am Sonntag gemeinsam Eucharistie feiern kann.

Im Laufe der Geschichte bilden sich dann neben dem Sonntag weitere Tage heraus, an denen die Gemeinde zur Eucharistiefeier zusammenkommt: die unterschiedlichen Feiertage, vor allem die Gedenktage der Märtyrer. Auch an diesen Tagen ist die Messe öffentliche Versammlung, zu der alle gerufen sind. Noch bis heute wird das auch noch dadurch deutlich, dass sonntags und an bestimmten Feiertagen keine besondere Messintention angeführt werden darf. In unseren Gottesdienstplänen steht dann häufig "für die Gemeinde" an Stelle der Intention. Das bedeutet nicht, dass in dieser Messe besonders für die Gemeinde gebetet wird, sondern dass es sich um die zentrale Versammlung der Ortskirche handelt.

Vom Sonn- und Festtag ist eine zweite Gruppe von Anlässen zu unterscheiden: die Totenmessen, in denen für einen bestimmten Toten gebetet wird, und die Messen, die aufgrund eines besonderen Anliegens von Privatpersonen gefeiert werden. In diesen Fällen wird die Messe, in der Christus unter den Gestalten von Brot und Wein gegenwärtig ist, als der Ort gesehen, an dem man in besonderer Weise für einen Menschen oder in einem bestimmten Anliegen beten kann; darüber hinaus wird sie ab dem 8. Jahrhundert zur herausragenden Möglichkeit, die den Sündern auferlegten Bußwerke abzugelten und Bußzeiten wesentlich zu verkürzen. Eine solche Messe ist nicht notwendig öffentliche Versammlung der gesamten Ortsgemeinde; allerdings war lange Zeit die Anwesenheit zumindest desjenigen erforderlich, in dessen Intention die Messe gefeiert wurde und der auch seine Gabe darbrachte, an die er seine besondere Bitte knüpfte. Erst um die erste Jahrtausendwende wird es möglich, die Gabendarbringung aus der Messe herauszulösen und außerhalb zu leisten: in Form des Messstipendiums. Damit wird dann allerdings das Stipendium mehr und mehr bestimmend für die Messhäufigkeit. Ein Priester, abgesehen von der sonntäglichen Pfarrmesse, kann nun jedes Mal, wenn eine Intention - verbunden mit einem Stipendium - an ihn herangetragen wird, die Messe feiern, ohne auf die Teilnahme der Gemeinde angewiesen zu sein. Dieser zweite Messtypus stellt in der lateinischen Kirche des Westens zum Teil bis heute den ersten, ursprünglichen Messtypus in den Schatten. Immer wieder musste die offizielle Kirche auch einschreiten, um finanziellen Missbrauch zu verhüten, bis zu der Regelung, dass ein Priester (von wenigen Ausnahmen abesehen) bis heute nur einmal am Tag ein Messstipendium annehmen und auch nur einmal am Tag die Messe feiern darf. Zu diesem zweiten Messtypus gehört aber auch die Einsicht, dass - wird keine Intention an den Priester herangetragen - dieser auch nicht zur Feier der Messe verpflichtet ist. Selbst Franziskus und nach ihm viele Ordensgründer vom 13. bis ins 16. Jahrhundert beschwören in ihren Regeln und Konstitutionen immer wieder die Priester in ihren Gemeinschaften, doch lieber an der Messfeier eines anderen Priesters teilzunehmen, als allein die Messe zu feiern. Hier steht natürlich die Einheit der (klösterlichen) Gemeinschaft im Vordergrund, die nicht durch die vielen Messfeiern gespalten werden, sondern in der einen Eucharistie ihren Ausdruck finden soll. Wohl erst im 19. Jahrhundert setzt sich dann eine weitere Regel der Messhäufigkeit durch: das Verlangen der Priester, täglich die Messe zu feiern, letztlich auch dann, wenn keine besondere Intention an sie herangetragen wird. Eine kirchliche Vorschrift diesbezüglich hat es allerdings niemals gegeben.

In vielen Gemeinden war daher, mindestens bis in die 60-er Jahre des letzten Jahrhunderts, die Messhäufigkeit abhängig von der Anzahl der in der Gemeinde eingesetzten Priester. Trotz zurückgehender Priesterzahl wurden allerdings oft die üppigen Messzeiten beibehalten und entwickelten sich zu "Messangeboten", aus denen jeder nach den eigenen Bedürfnissen wählen konnte, während die Priester sich (und das nicht nur sonntags) zur Bination gezwungen sahen, was über Jahrhunderte immer als Ausnahme für Notfälle gegolten hatte. Heute feiern Priester oft, aufgrund besonderer bischöflicher Erlaubnis, dreimal am Sonntag die Messe (die vierte Messfeier am Sonntag kann nicht einmal der Bischof erlauben), und damit ist das, was eigentlich für den Notfall gedacht ist, zur Regel geworden.

Wenn nun bei den Zusammenlegungen von Gemeinden zu Großpfarreien auch die Gottesdienstordnungen überdacht werden, so sollte dabei die Besinnung auf den Ur-Anlass, nämlich die sonntägliche Versammlung der gesamten Ortsgemeinde zur Begegnung mit dem Auferstandenen im Mittelpunkt stehen. Dort wo Gemeinde Eucharistie feiert, ist Kirche. Umgekehrt wissen Christen aber auch: dort wo keine Eucharistie gefeiert wird, fällt Kirche auseinander, weil sie ihrer Bestimmung nicht mehr nachkommt. Natürlich gibt es Beispiele von Kirchen, die in Zeiten der Verfolgung und unter äußerem Druck lange ohne Eucharistie durchgehalten haben (allerdings nicht ohne sonntägliche Versammlung!), aber das kann nicht zur Regel des Gemeindelebens erklärt werden.

Es geht letztlich um folgendes:

Nicht: "ICH möchte MEINE Messe zu einer mir genehmen Zeit, in der mir genehmen Form (oder dem mir genehmen Ritus)."

Sondern. "Eine Ortskirche versammelt sich zur sonntäglichen Begnung mit dem Auferstandenen." - Diese Versammlung ist geöffnet für alle, die für längere oder kürzere Zeit zu dieser Ortskirche gehören und auch für die, die auf der Durchreise sind. In einer Gesellschaft, die durch zunehmende Fluktuation ihrer Mitglieder geprägt ist, wird eine Kultur des Willkommenheißens für die Hinzukommenden immer wichtiger.

Ein Umdenken in der Eucharistiespiritualität hängt zudem eng zusammen mit dem Wahrnehmen der Tauffeier. Solange Taufe noch als eine Feier im Familienkreis gesehen und auch so gestaltet wird, kann nicht deutlich werden, dass es um Aufnahme in die Kirche geht, die sich in der Ortsgemeinde manifestiert. Da die Taufe nicht der Beginn eines individuellen Heilsweges, sondern Eingliederung in den gemeinsamen Heilsweg der von Christus gerufenen Kirche ist, muss sie auch als solche gefeiert werden. Nur auf dem Hintergrund eines veränderten Taufbewusstseins kann sich auch die Eucharistiefrömmigkeit wieder von der Individualisierung abwenden und erneut auf die Versammlung der Kirche ausrichten.

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