"Populo congregato", oder: Womit beginnt die Messe?

Veröffentlicht auf von Markus Tymister

"Populo congregato", oder: Womit beginnt die Messe?

Der Messordo im Messbuch von 1962 beginnt mit folgenden Worten:

"Sacerdos paratus cum ingreditur ad altare, facta illi debita reverentia, signat se signo crucis a fronte ad pectus, et, nisi peculiari rubrica aliter statuatur, clara voce dicit: In nomine Patris, et Filii, et Spiritus Sancti. Amen."

Der recht vorbereitete Priester tritt zum Altar hinzu und, nachdem er ihn in gebührender Weise verehrt hat, bezeichnet er sich mit dem Kreuzzeichen von der Stirn zur Brust und, wenn nicht in einer besonderen Rubrik anderes festgelegt ist, spricht er mit lauter Stimme: In nomine Patris..."

Die rechte Vorbereitung des Priesters ist im Ritus servandus in celebratione Missae desselben Messbuchs minutiös beschrieben. Das erste Kapitel des Ritus servandus handelt von dem vorbereitenden Gebet und dem - ebenfalls von Gebeten begleiteten - Anziehen der Gewänder. Im zweiten Kapitel heißt es dann:

"Sacerdos, omnibus paramentis indutus, accipit manu sinistra calicem, ut supra praeparatum, quem portat elevatum ante pectus, bursam manu dextera super calicem tenens, et facta reverentia Cruci, vel imagini illi, quae in sacristia erit, accedit ad altare, ministro cum missali et aliis ad celebrandum necessariis (nisi ante fuerint praeparata) praecedente, superpelliceum induto. Procedit autem oculis demissis, incessu gravi, erecto corpore. [...] Cum pervenerit ad altare, stans ante illius infimum gradum, caput detegit, biretum ministro porrigit, et altari, seu imagini Crucifixi desuper positae, profunde se inclinat. Si autem in eo sit tabernaculum sanctissimi Sacramenti, genuflectens debitam facit reverentiam. Tunc ascendit ad medium altaris, ubi ad latus Evangelii sistit calicem, extrahit corporale de bursa, quod extendit in medio altaris, et super illud calicem velo coopertum collocat, bursam autem ad latus Evangelii. Si in altari paramenta accipit, hoc idem facit antequam descendat ab altari, ut Missam inchoet."

Der mit allen Paramenten bekleidete Priester ergreift den Kelch, der - wie oben beschrieben - vorbereitet ist, mit der linken Hand und trägt ihn erhoben vor der Brust, während der die Bursa mit der rechten Hand auf dem Kelch festhält. Nach einem Zeichen der Verehrung dem Kreuz oder Bild in der Sakristei, tritt er an den Altar heran, während ein Ministrant, mit Chorrock bekleidet, mit dem Messbuch und den anderen für die Feier notwendigen Dingen (wenn sie nicht vorher bereitgestellt worden sind) vorangeht. Er schreitet gesenkten Blickes, gemessenen Schrittes und aufrecht. [...] Am Altar angekommen und in der Mitte vor der untersten Stufe stehend, entblößt er sein Haupt, reicht das Birett dem Ministranten und verneigt sich tief vor dem Altar und dem Bild des Gekreuzigten, das auf ihm steht. Wenn sich aber ein Tabernakel des Allerheiligsten Sakramentes auf dem Altar befindet, erweist er ihm mit der Kniebeuge die geschuldete Verehrung. Darauf steigt er zur Mitte des Altars empor, wo er den Kelch in Richtung der Evangelienseite abstellt, das Korporale aus der Bursa nimmt und es in der Mitte des Altares ausbreitet. Dann stellt er den mit dem Velum bedeckten Kelch auf das Korporale und die Burse in Richtung der Evangelienseite auf den Altar. Für den Fall, dass er am Altar die Paramente anlegt, tut er dies, bevor er wieder vom Altar hinuntersteigt, um die Messe zu beginnen.

Diese und noch viele weitere Rubriken regelten bis ins kleinste Detail all das, was der Priester zu tun hatte. Auch die Hand- und Körperhaltungen waren genauestens vorgeschrieben. Wenn es um notwendige Dienste ging, fanden sich auch Hinweise für den Ministranten (ohne wenigstens einen Ministranten die Messe zu feiern war ausdrücklich nicht erlaubt). Das Volk, bzw. die Gemeinde, fand im gesamten Messordo keine Beachtung. Ob, außer dem einen zwingend notwendigen Ministranten, noch jemand anwesend war oder nicht, spielte für die Feier der Messe keine Rolle. Auch die Frage, was die eventuell noch Anwesenden taten, wie sie sich verhielten oder was sie beteten oder sangen, war für die Messfeier unerheblich.

Pius XII hatte 1947 in seiner Enzyklika Mediator Dei et hominum zwar von der Teilnahme der Gläubigen an der Messe gesprochen, verstand unter ihr aber auf dem Hintergrund von Phil 2,5 ("Seid so gesinnt wie Christus Jesus.") hauptsächlich die Notwendigkeit, dass die Anwesenden möglichst die Gesinnung erwecken, "[...] von der die Seele des göttlichen Erlösers erfüllt war, als er das Opfer seiner selbst vollzog, daß sie also demütige Unterordnung des Geistes, Anbetung der höchsten Majestät Gottes, Ehrung, Lobpreis und Danksagung erzeigen." (Pius XII, Enzyklika Mediator Dei (20.11.1947), Kap. 2). Ob der Mensch diese Gesinnung durch eine aktive Teilnahme an der Messe oder durch andere Gebete oder Frömmigkeitsübungen erreichte, war dabei letztendlich zweitrangig.

Dies war ein Teil eines komplexen Hintergrundes, auf dem das 2. Vatikanische Konzil ein neues Paradigma der aktiven Teilnahme formuliert hat, das geignet war, eine solche tief verwurzelte Gegenüberstellung von äußerem und innerem Kult (vgl. A. Grillo «Che ne è oggi dell'"actuosa participatio"», RPL 296 (2013/1) 49), vom Handeln des Priesters und (Nicht-)Handeln der Versammlung zu überwinden. Die Sichtweise von der Kirche als dem einen Volk Gottes, dem einen Leib Christi unter der Leitung von Christus als dem Haupt seines Leibes schlägt sich dann auch in weiteren Dokumenten des Konzils (wie z. B. in der "Dogmatischen Konstitution Lumen gentium über die Kirche, bes. Art. 9-13) nieder.

In der Liturgiekonstitution des Konzils heißt es in Bezug auf die Teilnahme der Versammlung und die Revision der liturgischen Bücher in den Artikeln 30 und 31:

30. Um die tätige Teilnahme zu fördern, soll man den Akklamationen des Volkes, den Antworten, dem Psalmengesang, den Antiphonen, den Liedern sowie den Handlungen und Gesten und den Körperhaltungen Sorge zuwenden. Auch das heilige Schweigen soll zu seiner Zeit eingehalten werden.

31. Bei der Revision der liturgischen Bücher soll sorgfältig darauf geachtet werden, daß die Rubriken auch den Anteil der Gläubigen vorsehen.

2. Vatikanisches Konzil, Konstitution über die hl. Liturgie "Sacrosanctum Concilium" (4.12.1963), Art. 30-31

Der Forderung von Art. 31 trägt der Messordo im neuen Messbuch 1970-2008 Rechnung. Er beginnt mit den Worten:

"Populo congregato, sacerdos cum ministris ad altare accedit, dum cantus ad introitus peragitur. Cum ad altare pervenerit, facta cum ministris profunda inclinatione, osculo altare veneratur et, pro opportunitate, crucem et altare incensat. Postea cum ministris sedem petit. Cantu ad introitum absoluto, sacerdos et fideles, stantes, signant se signo crucis, dum sacerdos, ad populum conversus, dicit: 'In nomine Patris, et Filii, et Spiritus Sancti.' Populus respondet: 'Amen.'"

Wenn das Volk versammelt ist, zieht der Priester mit denen, die einen besonderen Dienst versehen, zum Altar, während der Gesang zum Einzug gesungen wird. Wenn er am Altar angekommen ist und zusammen mit denen, die einen besonderen Dienst versehen, eine tiefe Verneigung gemacht hat, verehrt er den Altar mit dem Kuss und inzensiert, wenn es sinnvoll erscheint, das Kreuz und den Altar. Danach geht er mit denen, die einen besonderen Dienst vershen, zu den Sedilien. Wenn der Gesang zum Einzug vollendet ist, bezeichnen sich stehend Priester und Gläubige mit dem Kreuzzeichen, während der Priester, zum Volk gewendet, spricht: 'Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.' Das Volk antwortet: 'Amen.'

Das erste Wort im Messordo ist ganz bewusst nicht mehr "sacerdos" (Priester) sondern "populus" (Volk): Wenn das Volk versammelt ist... Die Versammlung des Volkes Gottes ist zur Grundvoraussetzung der Feier der Liturgie geworden. Die weiteren Rubriken sind zudem nicht nur deutlich vereinfacht worden, sondern schon in der oben zitierten Nr. 1 des Messordo finden sich vier Hinweise auf das Volk, bzw. die Gläubigen und drei Mal werden die ministri, diejenigen, die einen besonderen Dienst versehen, erwähnt. Die deutsche Übertragung des lateinischen Begriffes ministri mit "diejenigen, die einen besonderen Dienst versehen" legt sich nahe, da ausdrücklich die gesamte Versammlung in der Feier der Liturgie den ihr ureigensten Dienst vor Gott versieht; sie ist mit Christus Handelnde (vgl. SC 7); einige ihrer Mitglieder versehen zudem besondere notwendige Dienste; nicht stellvertretend für die anderen, sondern im Dienst an den Mitfeiernden, damit alle ihren gemeinsamen Dienst angemessen vollziehen können. Die Gabe und Aufgabe des besonderen Weihepriestertums ist nur in seiner Beziehung zum universalen Tauf- und Firmpriestertum zu verstehen (vgl. P. Marini, «Il Concilio Vaticano II. L'apertura, il pensiero di Giovanni XXIII, le finalità della riforma liturgica», Ecclesia Orans 30 (2013) 47-70).

Wann beginnt nun also die Messe?

Wenn das Volk versammelt ist! Alle singen dann zusammen den Gesang zum Einzug, während diejenigen, die einen besonderen Dienst versehen, zum Altar ziehen. Sinnvollerweise entfaltet sich dieser Einzug als eine Prozession mitten durch das Volk hindurch, das singend Christus, das Haupt seines Leibes erwartet, der - repräsentiert im vorstehenden Priester - bei seinem Volk Einzug hält. Dann erfolgt die Verehrung des Altars, evtl. Inzens, und danach das Kreuzzeichen und der Gruß.

Nicht selten hört man leider immer noch Priester am Mikrofon sagen: "Wir beginnen im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes." Eine solche Fromel wertet das vorangegangene Tun der Versammlung wieder ab. Die Messe beginnt eben nicht, wenn der Priester an seinem Sitz das Wort ergreift, sondern sie hat schon längst mit dem vorangegangenen Tun der Gemeinde begonnen.

Die Versammlung singt ja zum Einzug auch nicht nur irgendein Lied, das dem Organisten, dem Priester oder dem Verantwortlichen für die Liedauswahl gerade mal gut gefällt und beliebig austauschbar ist, sondern sie stimmt sich mit dem Lied auf die Feier des Mysteriums an diesem bestimmten Tag ein. Das Singen des Einzugsliedes ist - dort wo es möglich ist - eben nicht einfach ausschmückende Beigabe, sondern erstes und verantwortliches Handeln des Volkes Gottes. Daher findet der Einzugsgesang auch während des Einzuges statt und nicht erst, wenn alle an der Prozession teilnehmenden schon im Altarraum angekommen sind.

(Das neue deutschsprachige Trauungsrituale von 1992 ist übrigens im Ritus der Trauung in einem Wortgottesdienst an dieser Stelle höchst inkonsequent. Nach dem feierlichen Einzug und nach längeren begrüßenden und einführenden Worten lässt es den vorstehenden Priester oder Diakon sagen: "Daher beginnen wir diesen Gottesdienst im Namen des Vaters...".)

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