Messfeier ohne Gemeinde?

Veröffentlicht auf von Markus Tymister

Messfeier ohne Gemeinde?

Die capitula episcoporum oder bischöflichen Kapitularien sind Schriften der Bischöfe aus dem 9. und 10. Jahrhundert, unter anderem auch aus dem fränkischen Bereich, in denen die Bischöfe sich, zum Teil auf Veranlassung des weltlichen Herrschers, zum Teil aber auch aus eigenem Antrieb an die Priester und Gläubigen ihrer Diözesen wenden und entweder in sehr kurz gefassten Aufforderungen oder auch in längeren Abhandlungen Hinweise zum Kirchen- und Glaubensleben geben, Missstände anprangern und deren Abstellung verlangen und auch Richtlinien für das gottesdienstliche Leben vorgeben. Oft liefern solche Kapitularien detailliertere Zeugnisse über das tatsächliche liturgische Leben als man sie den großen Sakramentaren entnehmen kann. Leider steht die Auswertung der Kapitularien für die Liturgiegeschichte erst in den Anfängen.

Das erste Kapitular des Theodulf von Orleans ist uns in 49 Handschriften überliefert, die zum Teil noch aus dem 9. Jahrhundert stammen. Theodulf stammt aus der Umgebung Karls des Großen. Wohl um 760 geboren kam er nach 780 ins Frankenreich und war als Theologe am Hof Karls des Großen tätig. Von Karl wurde ihm vor 798 das Bistum Orleans übertragen, er war aber im Auftrag des Kaisers zusätzlich auch außerhalb des Bistums als Gesandter tätig. Unter dem Nachfolger Karls, Ludwig dem Frommen, wurde er letztlich in die Verbannung geschickt, wo er vor 821 starb. Für die Abfassung seines ersten Kapitulars kommt seine Amtszeit als Bischof von 798 bis 817/818 in Betracht.

Bezüglich der Frage, ob ein Priester die Messe allein feiern dürfe, also ohne die Beteiligung von weiteren Gläubigen, äußert sich der Bischof in Kap. VII:

Sacerdos missam solus nequaquam celebret, quia sicut illa celebrari non potest sine salutatione sacerdotis, responsione plebis, admonitione sacerdotis, responsione nihilominus plebis, ita nimirum nequaquam ab uno debet celebrari. Esse enim debent, qui ei circumstent, quos ille salutet, a quibus ei respondeatur. Et ad memoriam illi reducendum est illud dominicum: 'Ubicumque fuerint duo vel tres in nomine meo congregati, et ego in medio eorum.'

Theodulf von Orleans, 1. Kapitular VII, in Capitula episcopourm I, hg. P. Brommer (MGH) Hannover 1984, 129

Ein Priester darf die Messe niemals allein zelebrieren, da sie nicht gefeiert werden kann ohne die Begrüßung durch den Priester, die Antwort des Volkes, die Admonition des Priesters und ohne die Antwort des Volkes. Daher darf sie keineswegs von einem allein gefeiert werden. Denn es müssen diejenigen anwesend sein, die ihn [den Priester] umstehen, die er begrüßt und von denen ihm geantwortet wird. Und ihm ist folgendes Wort des Herrn ins Gedächtnis zu rufen: "Dort wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten mitten unter ihnen." (Mt. 18,20)

In der Einschätzung des Verbotes der Feier ohne Teilnehmer sind sich die Bischöfe jener Zeit weitgehend einig. Theodulf ist in der Beschreibung und in der angegebenen biblischen Begründung sehr deutlich: Die Anwesenheit weiterer Teilnehmer ist nach Theodulf ausdrücklich nicht eine stumme physische Präsenz sondern eine wirkliche Teilnahme, die vor allem in den Antworten auf den Gruß des Priesters und auf seine Admonitionen zum Ausdruck kommt. Auch wenn Thedulf den Begriff so nicht verwendet hat, geht es hier um jene tätige und bewusste Teilnahme, die in der liturgischen Bewegung des 20. Jahrhunderts wieder zum Leben erwacht und vom 2. Vatikanischen Konzil als Richtschnur für die liturgische Erneuerung verbindlich gemacht wird.

Es ist durchaus interessant, dass sich dieses Verbot der Feier der Messe ohne Teilnehmer bis in das kirchliche Gesetzbuch (CIC) von 1917 hinein erhalten hat. Wenigstens ein Teilnehmer musste die vorgesehenen Antworten geben. Weitere Teilnehmer waren rechtlich nicht erforderlich. Allerdings waren Priester zur Feier der Messe nur an hohen kirchlichen Feiertagen verpflichtet, was allgemein als "3-4 Mal im Jahr" interpretiert wurde. Die Bischöfe sollten aber Sorge tragen, dass die Priester wenigstens an den Sonn- und Feiertagen die Messe feierten.

Erst im CIC von 1983 wird die tägliche Feier der Messe nachdrücklich empfohlen, die auch ohne die Teilnahme von weiteren Gläubigen immer ein Werk der Kirche bleibt. Diese nachdrückliche Empfehlung fußt auf den Dokumenten des 2. Vatikanischen Konzils, die die Zentralität der Eucharistiefeier für das Leben der Kirche neu in den Blick nehmen (bes. SC 2 und SC 27) sowie vor allem PO 13 Abs. 3:

Im Mysterium des eucharistischen Opfers, dessen Darbringung die vornehmliche Aufgabe des Priesters ist, wird beständig das Werk unserer Erlösung vollzogen; darum wird seine tägliche Feier dringend empfohlen; sie ist auch dann, wenn keine Gläubigen dabei sein können, ein Akt Christi und der Kirche.

2. Vatikanisches Konzil, Dekret über Leben und Dienst der Priester "Presbyterorum ordinis", Art. 133

Die Konzilsdokumente empfehlen eine möglichst tägliche Feier der Messe und stellen fest, dass diese immer Handeln der Kirche ist, auch wenn sie der Priester privat feiert. Festzuhalten bleibt allerdings, dass eine Feier ohne Teilnahme weiterer Gläubiger nirgends empfohlen und auch nicht angeraten wird. Eine Teilnahme von Gläubigen ist daher immer anzustreben und damit ist die Messfeier in Gemeinschaft eindeutig als das höhere Gut einzuordnen. Auf dieser Linie bewegt sich auch c. 904 des CIC von 1984, der die tägliche Feier der Hl. Messe nachdrücklich empfiehlt und auf diese Empfehlung die Feststellung folgen lässt, dass die Messfeier auch "Handeln Christi und der Kirche" ist, wenn der Priester dabei allein ist. Hier lässt sich also ebenfalls nicht eine Empfehlung zur Feier der Messe ohne Gemeinde ableiten. Hingegen hat ein Priester, der keine Gemeinde vorfindet, im Sinne der zitierten Dokumente, eher den Weg in eine Nachbarkirche auf sich zu nehmen, in der sich eine Gemeinde zur Feier der Messe zusammenfindet und kann dann mit den dortigen Priestern konzelebrieren, als dass er ohne Gemeinde für sich allein die Messe feiert. Die Messe ohne Gemeindebeteiligung sollte auf diesem Hintergrund der absolute Notfall bleiben. Sie ist möglich, da sie immer Handeln Christi und der Kirche ist, aber sie ist nirgens empfohlen oder angeraten.

Theodulf von Orleans und mit ihm weitere Bischöfe des 9. und 10. Jahrhunderts sprechen hingegen ein klares Verbot der Messfeier ohne die Beteiligung von mehreren Gläubigen aus. Thedulf führt sogar Mt. 18,20 an: "Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind...". Man sieht, wie die Liturgiereform, jenseits der rechtlichen Möglichkeit der Feier ohne Gemeinde, an die ältere liturgische Tradition der Kirche anknüpft, nach der die aktive Beteiligung mehrerer Anwesender notwendige Voraussetzung ist. Eucharistie ist Feier der Kirche und nicht Feier des Priesters. Diese Kirche, im Zueinander der verschiedenen in ihr wirkenden Dienste, Charismen und Aufgaben soll sich nach Möglichkeit in der konkreten Feier abbilden. Alles andere ist eine zu begründende Ausnahme.

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