Liturgiereform im 20. Jahrhundert

Veröffentlicht auf von Markus Tymister

Liturgiereform im 20. Jahrhundert

Die durch das II. Vatikanische Konzil angestoßene Liturgiereform, war keine unerwartete und plötzliche Aktion, sondern zeichnete sich schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts ab. Es sei hier nur daran erinnert, dass das für das Konzil und die darauffolgende Reform so bestimmende Thema der participatio actuosa (tätige Teilnahme) des gesamten Volkes Gottes seinen Ursprung mit Pius X (1903-1914) nimmt. In seinem Motu proprio Tra le sollecitudini über die Reform der Kirchenmusik vom 22.11.1903 schreibt der Papst:

Denn es ist Uns innerste Herzenssache, dass der wahrhaft christliche Geist überall in allen Gläubigen wieder aufblühe und unvermindert erhalten bleibe. Daher müssen Wir vor allem für die Heiligkeit und Würde des Gotteshauses sorgen. Denn dort versammeln sich die Gläubigen, um diesen Geist aus der ersten und unentbehrlichen Quelle zu schöpfen, nämlich aus der aktiven Teilnahme an den hochheiligen Mysterien und dem öffentlichen, feierlichen Gebet der Kirche.

Pius X, Tra le sollecitudini (22.11.1903)

Der Begriff der participatio actuosa wird von den nachfolgenden Päpsten aufgegriffen und in seiner Bedeutung weiterentwickelt: Pius XI (1922-1939) in der Apost. Konstitution Divini cultus (20.12.1928) und vor allem Pius XII (1939-1958) in seiner Enzyklika Mediator Dei (20.11.1954).

Auch wenn Pius X den Begriff der participatio actuosa nicht in ganz dem selben Sinne verwendet, wie die Väter des II. Vat. Konzils ihn verstehen, so ist nicht zu übersehen, dass die entsprechenden Überlegungen am Beginn des 20. Jahrhunderts ihren Anfang nehmen. Pius X war sehr beeindruckt von Solesmes und dessen Gründerabt Prosper Guéranger und stand der beginnenden Liturgischen Bewegung nahe.

Bei Pius XI zeichnet sich schon in der Bedeutung des Begriffs eine wichtige Nuance ab: participatio actuosa zielt nicht nur darauf ab, dass die Gläubigen innerlich aktiv am Geschehen des Messopfers teilhaben, sondern bedeutet eine nach außen sicht- und hörbare Teilnahme im Volksgesang (bei Pius XI natürlich noch auf den gregorianischen Choral bezogen). Damit die Gläubigen aktiver an der Liturgie teilnehmen können, soll der gregorianische Gesang an den Stellen, die dem Volke zukommen, diesem auch wieder zugestanden werden:

IX. Quo autem actuosius fideles divinum cultum participent, cantus gregorianus, in iis quae ad populum spectant, in usum populi restituatur. Ac revera pernecesse est ut fideles, non tamquam extranei vel muti spectatores, sed penitus liturgiae pulchritudine affecti, sic caerimoniis sacris intersint — tum etiam cum pompae seu processiones, quas vocant, instructo cleri ac sodalitatum agmine, aguntur — ut vocem suam sacerdotis vel scholae vocibus, ad praescriptas normas, alternent; quod si auspicato contingat, iam non illud eveniet ut populus aut nequaquam, aut levi quodam demissoque murmure communibus precibus, liturgica vulgarive lingua propositis, vix respondeat.

Pius XI, Apost. Konstitution "Divini cultus sanctitatem" (20.12.1928)

Letztendlich Aufgegriffen wird der Terminus dann vom Konzil. So z. B. in der Liturgiekonstitution, Art. 14:

14. Die Mutter Kirche wünscht sehr, alle Gläubigen möchten zu der vollen, bewussten und tätigen Teilnahme an den liturgischen Feiern geführt werden, wie sie das Wesen der Liturgie selbst verlangt und zu der das christliche Volk, „das auserwählte Geschlecht, das königliche Priestertum, der heilige Stamm, das Eigentumsvolk“ (1 Petr 2,9; vgl. 2,4-5) kraft der Taufe berechtigt und verpflichtet ist. Diese volle und tätige Teilnahme des ganzen Volkes ist bei der Erneuerung und Förderung der heiligen Liturgie aufs stärkste zu beachten, ist sie doch die ers-te und unentbehrliche Quelle, aus der die Christen wahrhaft christlichen Geist schöpfen sollen. Darum ist sie in der ganzen seelsorglichen Arbeit durch gebührende Unterweisung von den Seelsorgern gewissenhaft anzustreben.

II. Vat. Konzil, Sacrosanctum Concilium (4.12.1963)

In Nr. 14 der Konstitution Sacrosanctum Concilium, feierlich verabschiedet und proklamiert vor 50 Jahren, am 4. Dezember 1963, wird auch deutlich, dass die bewusste und tätige Teilnahme mit Fug und Recht als Leitgedanke der Liturgiereform verstanden werden darf, auf den alle Einzelreformen hingeordnet sein müssen.

Schaut man auf die Reformbemühungen Pius XII, kann man von einer Kontinuität der Liturgiereformen von Pius XII bis zum II. Vatikanischen Konzil sprechen; ja eigentlich von einer einzigen Reform, die sich durch das ganze 20. Jahrhundert zieht:

  • Erleichterung der Normen bzgl. der eucharistischen Nüchternheit (1943).
  • Neuübersetzung des Psalters und Einführung der neuen Übersetzung in das Brevier (1945-1946).
  • Erlaubnis zur Feier von Abendmessen (1946).
  • Die Enzyklika Mediator Dei et hominum (1947) ist eine Generalabhandlung über die Liturgie.
  • Erlaubnis zur Erstellung und zum Gebrauch von zweisprachigen Ritualen (Frankreich 1947, darauf auch in anderen Ländern, z. B. die Collectio Rituum 1950 in Deutschland); allerdings noch ohne Änderungen an den Riten.
  • Einsetzung einer Komission, die sich die Generalreform der Liturgie zur Aufgabe machen sollte (eingesetzt am 28. Mai 1948, bekannt in der Öffentlichkeit 1951). Diese Kommission stellt ihre Arbeiten erst in der Vorbereitung des Konzils ein, als die Vorbereitungskomission des Konzils ihre Arbeit aufnimmt. Von der von Pius XII eingesetzten Kommission wurden vorbereitet:
    • Die Wiederherstellung der Ostervigil (1951).
    • Die Reform der Karwoche (1955). Die erneuerte Ordnung war damit allein verbindlich, die zuvor übliche Form nicht länger erlaubt (Dekret der Ritenkongregation vom 20.11.1955: "[...] ad omnibus [...] in posterum unice adhibendam").
    • Die Instruktion De musica sacra et sacra Liturgia, Liturgie und Kirchenmusik (1958).
    • Der Codex rubricarum des Messbuchs und des Breviers (1960), der von Johannes XXIII durch das Motu proprio Rubricarum instructum vom 15.7.1960 promulgiert wird und ab 1. Januar 1961 für allein verbindlich erklärt wird und somit alle vorhergehenden Rubriken zur Nutzung des Messbuches und des Breviers ablöst. In seinem Motu proprio nimmt Johannes XXIII schon Bezug auf das von ihm einberufene Konzil, will aber dennoch die Initative seines Vorgängers nicht unter den Tisch fallen lassen:

Nos autem, postquam, adspirante Deo, Concilium Oecumenicum coadunandum esse decrevimus, quid circa huiusmodi Praedecessoris Nostri inceptum agendum foret, haud semel recogitavimus. Re itaque diu ac mature examinata, in sententiam devenimus, altiora principia, generalem liturgicam instaurationem respicientia, in proximo Concilio Oecumenico Patribus esse proponenda; memoratam vero rubricarum Breviarii ac Missalis emendationem diutius non esse protrahendam.

Johannes XXIII, Motu proprio Rubricarum instructum (25.7.1960)

  • Diese Rubriken werden dementsprechend in die als Interimsausgabe gedachten editio typica des Messbuchs 1962, nochmals neu gefasst, aufgenommen.
  • Noch während des Konzils wurde am 27.1.1965 eine überarbeitete Neufassung der Rubriken veröffentlicht, die die entsprechenden Regelungen des Messbuchs von 1962 außer Kraft setzten. Gleichzeitig wurde ebenfalls eine noch ausstehende Generalrevision des Messordo angekündigt.

All diese Reformschritte des 20. Jahrhunderts zeigen vor allem zweierlei: (1) die Reform nach dem 2. Vatikanum war ein Jahrhundert hindurch vorbereitet und gewachsen und (2) es war durchaus üblich, neue liturgische Vorschriften einzuführen, die die voraufgehenden Vorschriften ablösten und vollständig ersetzten.

Die Kontinuität der Reform in der 2. Hälfte des 20. Jh. ist auch durch die Person von P. Annibale Bugnini gegeben. P. Bugnini war Sekretär der von Pius XII eingesetzten Komission, arbeitete dann als Sekretär der konzilsvorbereitenden Komission zur Liturgie und wurde Sekretär des Consilium ad exequendam Constitutionem de sacra liturgia, des Liturgierates, der mit der Umsetzung der Konzilsbeschlüsse zur Liturgie betraut war.

Veröffentlicht in Liturgiereform, Tätige Teilnahme

Kommentiere diesen Post