Laetare - Anfang oder Mitte?

Veröffentlicht auf von Markus Tymister

Laetare - Anfang oder Mitte?

Der 4. Sonntag der vorösterlichen Zeit, wird oft immer noch Laetare genannt, obwohl der Eröffnungsvers, der ihm den Namen gibt, heutzutage meist durch ein anderes Lied (das ihm allerdings thematisch gleichen sollte!) ersetzt wird.

Der Vers ist Jes 66,10-11 entnommen und lautet:

Laetare, Ierusalem, et conventum facite, omnes qui diligitis eam; gaudete cum laetitia, qui in tristitia fuistis, ut exsultetis, et satiemini ab uberibus consolationis vestrae.

"Freue dich, Stadt Jerusalem! Seit fröhlich mit ihr, alle, die ihr traurig wart. Freut euch und trinkt euch satt an der Quelle göttlicher Tröstung." (Messbuch für die Bistümer des deutschen Sprachgebietes, authentische Ausgabe 1975)

Drei Wochen und 40 Tage

Heutzutage ist der 4. Sonntag fast genau die Mitte der vorösterlichen Zeit, auch wenn sich durch die Vorverlegung des Beginns der Fastenzeit auf den Aschermittwoch ein kleines rechnerisches Ungleichgeweicht zugunsten der ersten Hälfte ergibt. Allerdings ist es sehr wahrscheinlich, dass er einmal nicht die Mitte, sondern vielmehr der Beginn der Vorbereitungszeit war. Für Rom bezeugt erstmals der Geschichtsschreiber Sokrates Scholasticos (+ 440, und nicht zu verwechseln mit dem griechischen Philosophen gleichen Namens) eine dreiwöchige Vorbereitungszeit auf Ostern: Das Fasten vor Ostern ist unterschiedlich in den verschiedenen Gegenden: So fastet man in Rom drei aufeinander folgende Wochen, ausgenommen die Samstage und die Sonntage (Historia ecclesiastica, V,22: ed. J. P. Migne, PG 67, 633A). Sokrates schreibt in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts, in einer Zeit also, zu der in Rom auch die Quadragese, die 40-tägige Vorbereitungszeit auf Ostern, schon bekannt war, deren Einführung sich auf das Ende des 4. Jahrhunderts datieren lässt. Das mag aber nicht verwundern, da auch zu westentlich späterer Zeit noch unterschiedliche Traditionen in Rom friedlich koexistieren (vgl. H. Auf der Maur, Feiern im Rhythmus der Zeit 1 (GdK 5), Regensburg 1983, 146). Die drei letzten Sonntage vor Ostern (also der heutige 4. und 5. Fastensonntag sowie der Palmsonntag) waren wohl zudem auch die Sonntage der Taufskrutinien und damit die engere Zeit der Vorbereitung der (erwachsenen) Taufbewerber auf die Taufe in der Osternacht. Als dann zunehmend die 40-tägige vorösterliche Zeit übernommen wurde, wurden die Skrutinien auf den (nach heutiger Zählung) 3., 4. und 5. Fastensonntag vorverlegt (vgl. Auf der Maur, Feiern im Rhythmus der Zeit 1, 149 und M. E. Johnson, «From Three Weeks to Forty Days: Baptismal Preparation and the Origins of Lent», in Living Water, Sealing Spirit, hg. M. E. Johnson, Collegeville, MN 1995, 118-136). Später wanderten die Skrutinienmessen dann auf die Werktage, was mit der abnehmenden Bedeutung der Erwachsenentaufe zusammenhängt. Maxwell E. Johnson merkt dazu an, dass dem Tauftag auch in anderen christlichen Zentren eine dreiwöchige Vorbereitungszeit vorausging, unabhängig davon, ob an Ostern, an Pfingsten oder an einem anderen Tag im Jahr getauft wurde (s. Johnson, «From Three Weeks», 135-136 und P. Regan, Dall'Avvento alla Pentecoste, Bologna 2013, 102). Als in Rom dann der - zuerst im Jahr fluktuierende - Tauftag auf Ostern festgelegt wurde, stabilisierte sich damit auch vor Ostern die dreiwöchige Vorbereitungszeit. Wenig später wurde aus Alexandrien die Tradition des 40-tägigen Fastens (dort nach Epiphanie und ebenfalls zur Vorbereitung auf die Taufe) übernommen. So fließen in der Quadragese zwei Traditionen zusammen, die 40 Tage alexandrinischen Ursprungs und die Tradition der drei Wochen, von denen Sozomenes berichtet und die auch durch die Auswahl der Schriftlesungen aus dem Johannesevangelium, wie sie uns in den frühen römischen Lektionaren für diese drei Wochen bezeugt ist, bestätigt wird.

Mit M. E. Johnson können wir daher schlussfolgern, dass die Quadragese ursprünglich nichts mit Ostern zu tun hat, sondern die letzte Vorbereitung der Kandidaten auf den Empfang der Taufe darstellte (s. Johnson, «From Three Weeks» 136). In diesen letzten Wochen der Taufvorbereitung begleitete die gesamte Gemeinde die Bewerber durch Fasten und vor allem durch ihr Gebet.

Der doppelte Charakter der Quadragese

Bis zum Jahr 1969 war der katechumenale Charakter der Quadragese in den liturgischen Texten nicht mehr zu erkennen. Das nachtridentinische Messbuch hatte die Texte der Stationsliturgie des Bischofs von Rom übernommen, die nichts mit der Taufvorbereitung zu tun hatte und zudem aus einer Zeit stammte, in der die Erwachsenentaufe schon fast keine Rolle mehr spielte. So steht bis ins Messbuch von 1962 die Vorbereitung auf Ostern durch Fasten und Abstinenz im Mittelpunkt der Gebete. Die Liturgiekonstitution des 2. Vatikanums weist hingegen wieder auf den doppelten Charakter der Quadragese hin, der in Liturgie und und Katechese deutlich herausgestellt werden soll:

109. Die vierzigtägige Fastenzeit hat die doppelte Aufgabe, vor allem einerseits durch Tauferinnerung oder Taufvorbereitung, andererseits durch Buße die Gläubigen, die in dieser Zeit mit größerem Eifer das Wort Gottes hören und dem Gebet obliegen sollen, auf die Feier des Pascha-Mysteriums vorzubereiten. Dieser Doppelcharakter soll sowohl in der Liturgie wie auch in der Liturgiekatechese in helles Licht gerückt werden.

2. Vatikanisches Konzil, Konstitution über die Heilige Liturgie "Sacrosanctum Concilium", 3. Dez. 1963, Art. 109

Das Element der Taufkatechese wird daher im nachkonziliaren Lektionar besonders im Lesejahr A an den alten drei Skrutiniensonntagen (dem heutigen 3., 4. und 5. Fastensonntag) aufgegriffen. Die an diesen Sonntagen gelesenen Evangelientexte sind dem Johannesevangelium entnommen: Joh 4,5-42 (Jesus verspricht der samaritischen Frau am Jakobsbrunnen das Wasser des Lebens) am 3. Fastensonntag; Joh 9,11-41 (die Heiliung des Blinden am Teich von Schiloah) am 4. Fastensonntag - Laetare; Joh 11,1-45 (die Auferweckung des Lazarus) am 5. Fastensonntag. Da diese Evangelientexte eine besondere Rolle bei der christlichen Initiation hatten und haben, können sie auch in den Lesejahren B und C gelesen werden, besonders dort, wo Katechumenen sich auf die Taufe vorbereiten. Jeder dieser drei Sonntage hat auch eine neue eigene Präfation bekommen, die den Inhalt des jeweiligen Evangeliums aufgreift und in in Beziehung zur Taufe setzt.

Rosafarbene Paramente

Ein besonderes Kennzeichen des Sonntags Laetare ist die Möglichkeit, rosafarbene Paramente zu verwenden (s. Allgemeine Einführung in das Messbuch ²1975, Nr. 308, bzw. Institutio generalis Missalis Romani ³2002/2008, Nr. 346 und in der dritten authentischen Auflage des Messbuchs von 2002 erstmals auch in einer eigenen neuen Rubrik unter dem Titel des Sonntags erwähnt). Diese Möglichkeit wird oft mit der erbaulichen Deutung verbunden, dass das strenge Violett der Bußzeit nun durch das Rosa durchbrochen werde, in dem schon das Weiß des Osterfestes aufscheine. Der freudige Charakter des Sonntags wird ja auch durch die Worte des Eröffnungsverses unterstrichen. Die rosafarbenen Gewänder sind allerdings eine recht neue Erscheinung - wesentlich neuer auch als der Eröffnungsvers - und tauchen erstmals im 16. Jahrhundert auf. Sie dürften wohl auf den päpstlichen Brauch zurückgehen, an diesem Tag die Goldene Rose zu weihen: ein päpstliches Ehrenzeichen, dass seit dem 11. Jahrhundert besonderen Persönlichkeiten, aber auch Städten, Kirchen oder Wallfahrtsorten verliehen wird, zuletzt am 27. März 2012 durch Benedikt XVI. an die Kirche Virgen de la Caridad del Cobre (Kuba). Der Brauch der Goldenen Rose geht wohl seinerseits wieder auf einen römischen Volksbrauch zurück, "[...] an diesem Sonntag aus Freude über den nahenden Frühling Blüten zu tragen" («Laetare», in A. Adam - R. Berger, Pastoralliturgisches Handlexikon, Leipzig 1982, 296).
Die Verwendung der rosafarbenen Paramente am dritten Advenssonntag (Gaudete) ist hingegen schlichtweg in Angleichung an den vierten Fastensonntag entstanden.

Tagesgebet

Im Messbuch 1570-1962 finden wir als erste Oration des 4. Sonntags in Quadragesima folgenden Text, der auf das sog. Gregorianische Sakramentar aus dem ersten Quartal des 7. Jahrhunderts zurückgeht, das im 8. Jahrhundert von Papst Hadrian I. (+ 795) auf Anforderung Karls d. Großen in das Frankenreich geschickt wurde:

Concede, quaesumus, omnipotens Deus: ut, qui ex merito nostrae actionis affligimur, tuae gratiae consolatione respiremus.

(Gib, so bitten wir, allmächtiger Gott, dass wir, die wir aufgrund unserer Handlungen zu Boden gedrückt werden, durch die Tröstung deiner Gnade aufatmen können.)

Das Tagesgebet des Sonntags Laetare im Messbuch 1970-2008 lautet hingegen:

Deus, qui per Verbum tuum humani generis reconciliationem mirabiliter operaris, praesta, quaesumus, ut populus christianus prompta devotione et alacri fide ad ventura sollemnia valeat festinare.

"Herr, unser Gott, du hast in deinem Sohn die Menschheit auf wunderbare Weise mit dir versöhnt. Gib deinem Volk einen hochherzigen Glauben, damit es mit froher Hingabe dem Osterfest entgegeneilt." (Messbuch für die Bistümer des deutschen Sprachgebietes, authentische Ausgabe 1975)

Die erste Hälfte der Oration (Deus, qui ... quaesumus) entstammt dem Altgelasianischen Sakramentar, einer Handschrift aus dem 8. Jahrhundert, entstanden auf fränkischem Gebiet, die unter anderem auch älteres Material römischen Ursprungs überliefert. Ein Blick auf Struktur und Inhalt der Oration legt nahe, dass wir es mit einem römischen Text aus dem 5. oder 6. Jahrhundert zu tun haben (und zwar mit einem Tagesgebet der Messe des Mittwochs nach dem 2. Fastensonntag: GeV 178, ed. L. C. Mohlberg, 31), während die Wendung prompta devotione et alacri fide aus dem Traktat Nr. 40 (ed. A. Chavasse, CCSL 138A, 218) von Papst Leo d. Großen (+ 461) stammt. Der abschließende Hinweis auf das nahende Osterfest ist dann bei der Zusammenstellung des Messformulars anlässlich der Reform des Messbuchs 1970 angefügt worden und gibt dem Sonntag in der Mitte der Quadragese den Akzent des Ausblickes auf das Ziel: das nahende Osterfest. Der Schwerpunkt liegt auch hier nicht auf den Werken des Menschen, sondern vor allem auf dem Versöhnungswerk Christi. Nicht unsere (Buß-)werke versöhnen uns mit Gott, sondern Gott selbst hat unsere Versöhnung in seinem Sohn gewirkt. Unsere Antwort auf Gottes zuvorkommendes Handeln besteht in prompta devotio und alacer fides: in froher Hingabe und hochherzigem Glauben, die unseren Lebensweg (nicht nur den auf Ostern hin!) bestimmen.

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