Zum Ursprung des Advents

Veröffentlicht auf von Markus Tymister

Zum Ursprung des Advents

Im klassischen Latein bedeutet adventus (von advenire - ankommen) 'Ankunft' oder 'angekommen sein', also 'gegenwärtig sein'. Das Präfix ad drückt eine Bewegung in Richtung auf ein Ziel aus, impliziert daher die Ankunft von weither oder von einer Reise. Der Besuch eines Herrschers in einer Stadt oder Provinz seines Reiches, vor allem der erste Besuch dieser Art wird als adventus bezeichnet, feierlich begangen und in den geschichtlichen Aufzeichnungen festgehalten (vgl. P. Regan, Dall'avvento alla pentecoste. La riforma liturgica del messale di Paolo VI, Bologna 2013, 19).

Im religiösen Bereich bezieht sich adventus auch auf den jährlichen Besuch einer Gottheit in einem Heiligtum oder Tempel in dem sie, während der anlässlich ihres adventus gefeierten Festlichkeiten, Wohnung nimmt. Auf dem Hintergrund des Glaubens an die Gottgleichheit des römischen Kaisers, bezeichnet ein im Jahr 354 zusammengestellter römischer Kalender die Thronbesteigung des Kaisers Konstantin als Adventus Divi - 'Ankunft des Göttlichen'.

In den christlichen Schriften der ersten Jahrhunderte wird adventus in diesem Sinne der klassische Begriff zur Bezeichnung der Ankunft Christi unter den Menschen. Adventus domini - 'Ankunft des Herrn' bezeichnet also sowohl seine Geburt (die Ankunft im Fleisch), seine Erscheinung unter den Menschen, als auch seine Wiederkunft in Herrlichkeit am Ende der Zeiten (vgl. P. Jounel, "La domenica e la settimana", in A. G. Martimort, La Chiesa in preghiera 4, Brescia 1984, 113). Im lateinischen Neuen Testament, der Vulgata, werden die griechischen Begriffe parousia und epiphaneia mit adventus übersetzt.

Grundbedeutung von parousia ist Anwesenheit, Ankunft. Parousia wird im Neuen Testament hauptsächlich in Bezug auf die endgültige Wiederkehr Christi in Herrlichkeit angewendet. Die lateinische Übersetzung dieser Stellen gibt parousia mit adventus wieder; so fragen z. B. in Mt 24,3b die Jünger den Herrn: "Sag uns, wann wird das geschehen, und was ist das Zeichen für deine Ankunft [griech. parousia, lat. adventus] und das Ende der Welt?"

Epiphaneia bedeutet Erscheinung im Sinne der sichtbaren Manifestation der verborgenen Gottheit; z. B. ermahnt in 1 Tm 6,14 Paulus den Timoteus: "Erfülle deinen Auftrag rein und ohne Tadel, bis zum Erscheinen [griech. epiphaneia, lat. adventus] Jesu Christi, unseres Herrn."

Im lateinischen Neuen Testament bezieht sich der Begriff adventus (sei es als Übersetzung von epiphaneia oder von parousia) also immer auf Wiederkehr Christi als Richter am Ende der Zeit, nie aber auf seine erste Ankunft im Fleisch (vgl. Regan, Dall'avvento, 22).

Schon am Beginn des 2. Jahrhunderts beginnen sich die Dinge zu ändern. Der Bischof Ignatius von Antiochia bezeichnet in seinem Brief an die Christen von Philadelphia die erste Ankunft Christi ebenfalls als parousia (Ad Phil 9). Um die Mitte des 2. Jahrhunderts erwähnt Justinus zum ersten Mal die beiden Ankünfte (parousias) Christi: eine in der Vergangenheit und eine zukünftige (Erste Apologie 52,3).

Der lateinische Begriff adventus entwickelt sich praktisch auf die selbe Weise wie der griechische Terminus parousia (vgl. Regan, Dall'avvento, 23-26). Tertullian schreibt in Nordafrika am Beginn des 3. Jahrhunderts: "Sodann ist [nach Ostern] die Pfingstzeit für die Vornahme des Taufbades ein freudenvoller Zeitraum, in welchem der auferstandene Herr häufig unter den Jüngern weilte, die Gnade des Hl. Geistes mitgeteilt wurde und endlich die Hoffnung auf die Wiederkunft des Herrn [adventus domini] durchblickte [...] (De baptismo 19). Hier hat adventus noch klar die neutestamentliche Bedeutung die Wiederkehr Christi in Herrlichkeit. In einer weiteren Schrift spricht Tertullian dann von den zwei Ankünften (adventus) Christi. Auch Ambrosius (339-397) gebraucht den Ausdruck adventus domini sowohl für die erste Ankunft des Herrn auf der Erde als auch für die endgültige Wiederkehr am Ende der Welt. Ähnliches hat P. Regan (Dall'avvento, 25-26) auch für Augustinus und weitere lateinische Kirchenväter nachgewiesen.

Zusammenfassend kann mit Regan (Dall'avvento, 26) gesagt werden, dass der Ausdruck adventus domini eine dynamische Bedeutung hat. Adventus ist eine Handlung, deren Subjekt Christus ist. Seine Ankunft hat eine zutiefst eschatologische Bedeutung, besonders wenn sich adventus auf die Wiederkehr des Herrn in Herrlichkeit bezieht. Aber auch in Bezug auf seine Geburt, unterstreicht adventus, dass es bei der Geburt Christi nicht um eine rein physiologische Tatsache geht, sondern um eine Theophanie, eine heilbringende Erscheinung und Ankunft unseres Gottes: Die Geburt des Herrn auf der Erde und seine Wiederkehr in Herrlichkeit sind beide gleichermaßen 'Ankunft' und 'Erscheinung': parousia, epiphaneia, adventus. Das Weihnachtsfest ist also nicht einfach nur der 'Geburtstag Jesu'. - Advent, Weihnachten, Erscheinung des Herrn haben alle drei die selbe Bedeutung: parousia, epiphaneia tou kyriou. Ankunft, Präsenz, Erscheinung Gottes in seinem Heiligtum; in der Vergangenheit und in der Zukunft, am Ende der Zeiten.

Alle diese Überlegungen führen uns näher an die ursprüngliche Bedeutung der Adventszeit, die heute schnell zu einer Vorbereitungszeit auf das Weihnachtsfest verkümmert.

Das altgelasianische Sakramentar, eine Handschrift aus dem 7. Jahrhundert, mit Texten, die wohl in den Titelkirchen Roms (also nicht im Lateran, der Bischofskirche) benutzt wurden, hat am Ende des Kirchenjahres die Sektion LXXX mit dem Titel Orationes de aduentum [sic!] domini - Gebete von der die Ankunft des Herrn. Die in dieser Sektion angegebenen Orationen und die Präfation beziehen sich, ganz gemäß der neutestamentlichen Verwendung des Terminus adventus, hauptsächlich auf die Wiederkunft Christi in Herrlichkeit.

Von Karl dem Großen stammt die Einsicht, dass neben einer einheitlichen Sprache vor allem eine einheitliche Liturgie sein großes Reich zusammenhalten kann. Um die im Frankenreich vorhandenen gallikanischen Liturgien zu ersetzen, wendet er sich an Rom, an den Papst und bittet, ihm ein dort benutzes Sakramentar zu schicken, an dem er sich dann in seinem Reich orientieren wollte. Dem Papst sind solche Bestrebungen einer Vereinheitlichung der Liturgie fremd, vor allem da in Rom selbst zwei Liturgietypen friedlich nebeneinander bestehen: die von den Presbytern gefeierte Liturgie in den Titelkirchen, deren Texte uns teilweise im Altgelasianischen Sakramentar überliefert sind, und die vom Papst selber im Lateran mit eigenen liturgischen Büchern gefeierte Liturgie. Nach längerm Zögern übersendet Papst Hadrian (772-795) Karl dem Großen zwischen 784 und 791 ein Sakramentar, dass er selber nicht mehr braucht. In diesem Sakramentar fehlt im Titel der entsprechenden Texte der Begriff domini und es bleibt nur adventus. Der Begriff hat hier seine Verbindung mit dem Neuen Testament und mit der Person Christi, der die Heilsgeschichte zur Vollendung führen wird, verloren. Der Advent ist so einfach nur noch ein Zeitraum am Ende des Kirchenjahres vor Weihnachten, das den Beginn des neuen Kirchenjahres bezeichnet, geworden. Konsequenterweise eliminiert dieses Sakramentar aus der entsprechenden Sektion alle Texte, die auf die Wiederkehr Christi in Herrlichkeit hinweisen und lässt nur die Texte, die sich auf seine Geburt beziehen, bestehen. Auch wenn es sich bei diesem Sakramentar um einen Typ des sog. Sacramentarium Gregorianum handelt, so ist es definitv nicht von Gregor d. Großen (590-604). In der Liturgiewissenschaft wird es als Hadrianum bezeichnet und seine ältesten Teile dürften auf Papst Honorius (625-638) zurückgehen. Es enthält die Texte für die vom Papst im Lateran oder in den Stationskirchen gefeierten Gottesdienste. Für den Gebrauch im Frankenreich muss der Kaiser dann noch ein zusätzliches Supplement in Auftrag geben, um den besonderen Anforderungen seiner Region gerecht zu werden.

In der Folgezeit gewinnt allerdings die päpstliche Liturgie im Abendland die Überhand und verdrängt die im Altgelasianum bezeugte presbyterale Liturgie. Die päpstliche Liturgie wird schließlich auch in das nachtridentinische Messbuch von 1570 bis 1962 aufgenommen, und - mit ihr - das Verständnis der Adventszeit als reine Vorbereitungszeit auf Weihnachten.

Die Reform des Messbuchs nach dem 2. Vatikanischen Konzil schöpft hingegen auch wieder aus der Quelle des Altgelasianum, um den eschatologischen Aspekt der Adventszeit neu herauszustellen. Auch hier finden wir wieder ein Beispiel, wie die Liturgiereform die Kirche zu den Quellen zurückführt, die im Laufe der Geschichte in Vergessenheit geraten waren.

Bei aller Vorfreude auf Weihnachten als stimmungsvolles und schönes Fest mit seinen reichhaltigen und guten Bräuchen, werden in den Gebeten und Schrifttexten der adventlichen Liturgie heute beide Bedetungen des Begriffs adventus gefeiert: Ankunft, Erscheinung des Herrn. Seit seiner Geburt streckt sich die Christenheit aus nach seiner Wiederkunft in Herrlichkeit. Der Advent, die Ankunft, ist gleichzeitig der Beginn der Erlösung in der Ankunft unseres Gottes in seinem Heiligtum (das die Welt ist!) und die Vorausnahme seiner endgültigen Wiederkehr in dieses sein Heiligtum. In den ältesten liturgischen Büchern ist der Advent, als eine der jüngsten Entwicklungen (Weihnachten wurde schon 336 in Rom gefeiert, während der Advent sich erst um die Mitte des 6. Jahrhunderts herausbildet), am Ende des Kirchenjahres eingefügt, denn er weist hin auf die Vollendung der Zeiten. Erst im 12. und 13. Jahrhundert erscheinen die Messtexte für den Advent am Anfang des Kirchenjahres, vor Weihnachten und der 1. Adventssonntag wird demnach zum Anfang des Kirchenjahres. Inhaltlich setzt der Advent heute auch die Thematik der vorausgegangenen "eschatologischen" Sonntage weiter fort.

Die Liturgiekonstitution des 2. Vat. Konzils stellt in Art. 102 das Kirchenjahr als Entfaltung des Mysteriums Christi (nicht aber als ein chronologisches Nacherleben) dar: Ausgehend von der Feier der Auferstehung begeht sie das Mysterium von der Menschwerdung und Geburt bis zur Himmelfahrt, zum Pfingsttag und zur Erwartung der seligen Hoffnung und der Ankunft [adventus] des Herrn. Hier wird deutlich, wie der Advent in erster Linie die Vollendung der Heilsgeschichte ist, die Erlösung der Welt, die ihren Anfang in der ersten Ankunft Christi genommen hat.

Als liebende Mutter hält die Kirche es für ihre Aufgabe, das Heilswerk ihres göttlichen Bräutigams an bestimmten Tagen das Jahr hindurch in heiligem Gedenken zu feiern. In jeder Woche begeht sie an dem Tag, den sie Herrentag genannt hat, das Gedächtnis der Auferstehung des Herrn, und einmal im Jahr feiert sie diese Auferstehung zugleich mit dem seligen Leiden des Herrn an Ostern, ihrem höchsten Fest. Im Kreislauf des Jahres entfaltet sie das ganze Mysterium Christi von der Menschwerdung und Geburt bis zur Himmelfahrt, zum Pfingsttag und zur Erwartung der seligen Hoffnung und der Ankunft des Herrn.

2. Vatikanisches Konzil, Konstitution über die Hl. Liturgie "Sacrosanctum Concilium" (4. dic. 1963), Art. 102

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